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DIE EINST LINKE IDENTITÄTSPOLITIK IST NICHT MEHR FORTSCHRITTLICHDie Metapher hat ausgedient

Warum kommt jetzt die Frage auf, ob Cem Özdemir ein guter, sprich fleißiger Abgeordneter war? Ein erfolgreicher Abgeordneter war Özdemir auf jeden Fall. Es hat dem rot-grünen Projekt Einwanderung genutzt, dass es einen Gastarbeitersohn gab, der auf der Bühne Bundestag seine gelungene Integration demonstrierte. Im Klartext: Es brauchte einen Özdemir, um den Deutschen klar zu machen, dass Türken nicht nur als McDonald’s-Niedriglohnsklaven Anzug tragen. Özdemir funktionierte als Metapher. Deshalb war es irrelevant, ob der reale Abgeordnete Özdemir arbeitswütig oder faul war: Eine Metapher muss keine Akten lesen.

Die Politik, die Özdemir zu dem gemacht hat, was er war, heißt Identitätspolitik. Erfunden wurde sie in den US-Universitäten in den späten Achtzigerjahren. Es geht dabei um Repräsentanz: Frauen und Vertreter ethnischer Minderheiten sollen mehr Positionen besetzen – im Lehrplan, im Stellenplan und in der Sprache. Identitätspolitik läuft hinaus auf eine andere Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht auf ihre Veränderung. Die Methode war erfolgreich – weit über ihre Wiege hinaus: Das Big-Business entdeckte Identity-Marketing, heute ist in der reaktionären Bush-Administration die Sicherheitsberaterin eine schwarze Frau. Mit Repräsentanz machen in den USA heute viele Politik und noch mehr Geschäfte.

Gerade zu dem Zeitpunkt, als die US-Linke frustriert ihre Fixierung darauf aufgab, schwappte die Welle der Repräsentanz über den großen Teich. Im Europa nach 1989 war jeder materialistische Ansatz aus der Mode und die westeuropäischen linken Parteien griffen begierig nach dem Neuen: Kämpften sie nicht schon immer für Ausländer? Nun sollten diese nicht nur anwaltschaftlich, sondern in persona repräsentiert werden: Es wurde in linken Parteien schick, Ausländer zu herausgehobenen Positionen zu verhelfen. Tatsächlich wollen die Türken in Deutschland auch türkische Stimmen und türkische Gesichter im Parlament. Identitätspolitik war auch hierzulande erfolgreich – und auch bei uns blieb die Methode nicht lange den Linken vorbehalten. Mit einigem Recht glaubt Edmund Stoiber das bloße Vorzeigen einer ledigen Mutter in seinem Schattenkabinett nehme vielen Wählern die Angst vor seiner konservativen Familienpolitik.

Und die einst linke Methode ist sogar zu einer Waffe gegen den Fortschritt geworden. Pim Fortuyns demonstrierte Homosexualität („Ich rede nicht nur mit Muslimen, ich schlafe mit ihnen“) hat die liberalen Gegner des niederländischen Rechtspopulisten lange gelähmt. Platz zwei auf der Fortuyn-Liste besetzte ein auf den Antillen geborener Betriebswirt. Seine dunkle Hautfarbe verschaffte ihm einen Diskursvorteil, den er jetzt im Parlament für Politik gegen Einwanderer nutzt.

Die Politik der Repräsentanz hat – indem sie bei den Konservativen und Rechtspopulisten angekommen ist – ihre größte Ausdehnung erreicht. Gleichzeitig erodiert sie in ihren Kernen: Bei den Grünen macht sich zunehmend Unbehagen an dieser seit mehr als einem Jahrzehnt eingeübten Kultur der Repräsentanz breit. Bislang ließ die Partei ihren Abgeordneten nichtdeutscher Herkunft, die es mittlerweile in jeder grünen Fraktion gibt, einiges durchgehen. Sei es schneller Aufstieg und die dazugehörige Attitüde im Fall Özdemir, sei es Inkompetenz in anderen Fällen oder gar Antisemitismus wie bei Jamal Karsli, der in NRW jahrelang grüner Abgeordneter war. Diese Rücksicht war politisch schon immer unklug, menschlich wird sie fragwürdig, wenn sie – quasi kompensatorisch – in ihr Gegenteil umschlägt. Wie im Fall Özdemir, wo sich das lang unterdrückte Unbehagen am Migrantenticket jetzt überheftig artikuliert: Erst nach dem Sturz des Jungstars werden ihm plötzlich Faulheit, Oberflächlichkeit und schöne Schuhe vorgeworfen. Die das Migrantenticket erfunden haben, wenden sich gegen seinen Nutzer: Als müsse einer, den sie in erster Linie gewählt haben, weil er als erfolgreicher Türke wahrgenommen wird, deshalb ungenügend und unqualifiziert arbeiten.

Bei Özdemirs Höhenflug und Absturz haben die Partei und der Mensch Schaden erlitten. Grüne Identitätspolitk ist kontraproduktiv geworden. Die Frage der Neunzigerjahre, ob Identitätspolitik tatsächlich links ist, stellt sich nicht mehr. Vielleicht war Identitätspolitik einmal fortschrittlich, sie ist es sicher nicht mehr: Die Metapher hat ausgedient.

ROBIN ALEXANDER

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