: sommerkrimi
Folge 12
George überlegte eine Weile, dann fuhr er fort: „Das Beste ist, du setzt dich ins Wohnzimmer, bis ich mit den anderen Zimmern fertig bin, hast du verstanden, Lennie?“
George schob Lennie aus dem Bad, und begann systematisch alle Einrichtungen und Gegenstände abzuwischen.
Lennie ging ins Wohnzimmer, hockte sich neben Novitzkis leblosen Körper und schaute direkt in dessen zerschlagenes Gesicht. Der Mund stand offen. Wie durch ein Wunder waren die Zähne unversehrt geblieben. Vorsichtig drückte er Novitzkis eingeschlagene Nase mit dem Zeigefinger hoch. Als er losließ, klappte das lädierte Nasenbein sofort wieder zurück. Lennie gluckste. Er wiederholte das Ganze. Wieder klappte die Nase zurück. Lennie quietschte vor Vergnügen.
„Jetzt siehst du auch nicht mehr schöner aus als ich, was?“
In der Schrankwand neben ihm lagen mehrere Tuben Ölfarbe. Lennie griff sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, eine schwarze Tube und drückte sich etwas Farbe auf die Finger. Dann schwärzte er damit Novitzkis Zähne.
„Weißte mal wie das ist.“
George kam ins Wohnzimmer. Er hatte die ganze Wohnung und den Balkon durchgeputzt.
„Was machst denn du da, hä? Hast du ‘ne Marmel? Beschmierst ihn mit Farbe! Na, egal, der merkt‘s ja nicht mehr. Jetzt geh aber raus und warte auf dem Flur. Eh! ...“ George drohte leicht mit dem erhobenen Zeigefinger, „... und lass die Handschuh‘ an, hörst du?“
„Ja, ja – ich geh ja schon.“
George ließ sich Zeit. Er ging noch einmal systematisch durch, was sie alles berührt haben könnten und wischte auch dort, wo sie gar nicht gewesen waren. Sicher ist sicher. Dann ging er zu George auf den Flur.
„Du blutest an der Stirn. Ist aber schon angetrocknet.“
„Du auch, George, am Hals. Nur ein bisschen.“
„Halt, fass jetzt nicht an, das machen wir gleich draußen ab.“
George nahm einen Stapel von Novitzkis Feuchttüchern aus dem Bad und steckte sie in seine Jackentasche.
„So, das war‘s, Lennie, wir verziehn uns.“
Er klemmte sich das Koks-Paket unter den Arm und öffnete die Wohnungstür.
Der Araber war genau auf der vorletzten Stufe der Eingangstreppe. Er stoppte abrupt und schaute Lennie und George wortlos an. George legte Lennie ganz ruhig die gespreizten Finger der linken Hand auf die Brust, damit er nicht ins Treppenhaus hinaustrottete. Dann kam der Adrenalin-Flash. Er warf die Haustür mit dem Fuß wieder ins Schloss und legte schnell die Kette vor.
„Los, Lennie! Über den Balkon raus, dann rechts über den Zaun durch die Büsche!“ stieß er leise durch die Zähne.
Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus
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