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Eine Stadt im Belagerungszustand

In Burundi haben Hutu-Rebellen ihren Krieg gegen die Tutsi und die Armee massiv verstärkt. Der Friedensprozess und die neue Allparteienregierung drohen zu scheitern. Radikale Tutsi erwägen einen Putsch und fordern die Trennung von den Hutu

aus Bujumbura DOMINIC JOHNSON

Frühmorgens stauen sich die Autos an der Tankstelle am Stadtrand. Um neun Uhr erst gibt die Armee die Straße frei, die aus Burundis Hauptstadt Bujumbura hinaus nach Norden führt. Tanklaster aus Tansania, Lieferwagen voller Bauern mit ihren Produkten, waghalsige Radfahrer und waffenklirrende Soldaten drängen sich danach in beide Richtungen.

Bergab liegt die Stadt Bujumbura, mehrheitlich von Tutsi bewohnt und ökonomisch ruiniertes Zentrum eines Bürgerkriegslandes. Bergauf beginnt eine der eindrucksvollsten Panoramastraßen Afrikas, dreißig Kilometer Asphaltkurven hinauf ins grüne Hochland. Ruinen zerstörter Bauernhauser säumen den Weg. Fast an jeder Biegung wachen Soldaten. Die Bergwälder von Tenga und Kibira wurden großflächig abgebrannt, um freies Schussfeld auf den Feind zu bieten. Der Feind, das sind die Hutu-Rebellen, die seit 1993 gegen die von Tutsi kommandierte Armee kämpfen und derzeit ihre größte Offensive seit Jahren führen.

Tausende neue Kämpfer aus den Lagern

Über 630 Tote hat es nach offiziellen Angaben seit dem 7. Juli gegeben, als die Rebellengruppen FDD und FNL begannen, tausende neue Kämpfer aus den burundischen Flüchtlingslagern in Tansania über Burundis Südgrenze zu schicken. Sie zogen quer durch das Land bis an den Rand der beiden großen Provinzstädte Gitega und Ngozi. Nur massive Militäreinsatze verhindern den Durchbruch der Rebellen zu ihren bestehenden Hochburgen im Nordwesten des Landes Richtung Kongo und in den steilen Bergen rund um die Hauptstadt.

Es war mehr als nur eine Demonstration der Stärke kurz vor neuen Verhandlungen über einen Waffenstillstand, die am morgigen Dienstag in Tansanias Hauptstadt Daressalam beginnen sollen und von denen sich niemand einen schnellen Erfolg erwartet. Noch nie seit den letzten Friedensverhandlungen in Arusha in Tansania, die im August 2000 erfolgreich mit der Bildung einer Allparteienregierung durch Hutu- und Tutsi-Gruppen unter Führung des Tutsi-Präsidenten Pierre Buyoya zu Ende gingen, schien das Land so tief im Krieg zu versinken. „Früher griff die Armee die Rebellen in ihren Hochburgen an“, sagt ein ausländischer Mitarbeiter eines internationalen Hilfswerks, „Heute ist es umgekehrt.“

Die Kämpfe in Burundi begannen 1993, als die Armee den ersten frei gewählten Hutu-Präsidenten Burundis ermordete und radikale Hutu-Milizen daraufhin Zehntausende Tutsi töteten oder vertrieben – Vorgeschmack auf den Völkermord in Ruanda im darauffolgenden Jahr. 250.000 Menschen sind seitdem in Burundi im Krieg gestorben, und eine Million der 6,5 Millionen Einwohner haben ihre Heimat verloren.

Erst das Arusha-Abkommen aus dem Jahr 2000 schien den Weg zum Frieden zu ebnen. Die großen Hutu-Parteien traten im November 2001 unter Schutz einer südafrikanischen Eingreiftruppe in Buyoyas Regierung ein, nur der Waffenstillstand mit den bewaffneten Hutu-Rebellen stand noch aus.

Doch die Wucht von deren neuer Offensive könnte den ganzen Friedensprozess kippen. Denn die Rebellen, die nach überzeugung vieler Burunder durch ruandische Hutu-Milizen aus dem Kongo verstärkt wurden, haben offenbar ihre Strategie weg vom Kampf gegen die Armee hin zum Kampf gegen die Tutsi-Minderheit insgesamt verlagert. „Wenn sie durch ein Dorf ziehen“, erklärt der Hilfswerker, „gibt es zum Beispiel drei verbrannte Häuser, der Rest bleibt intakt. Es werden gezielt die Häuser der Tutsi angegriffen.“

Drei Tage lang fielen letzte Woche abendlich Granaten auf Wohnviertel in Bujumbura; es gab sieben Tote und Panik in der Bevölkerung. „Jeden Tag sterben Tutsi“, empört sich ein burundischer Ökonom. „Dieser Krieg wird zum Völkermord führen.“

Jede Seite achtet nur auf ihre Toten

Dass die Armee danach in Hutu-Vierteln der Hauptstadt nach Angaben unabhängiger lokaler Journalisten mindestens 50 Hutu-Zivilisten tötete, erwähnt er nicht. Vielleicht weiß er es nicht einmal. „Jede Seite achtet nur noch auf die eigenen Toten“, konstatiert ein Diplomat. Immer mehr Tutsi, auch im Regierungsapparat, plädieren offen für eine räumliche Trennung zwischen Hutu und Tutsi als Weg zum Frieden.

Da steht die Allparteienregierung, in der die Posten fein säuberlich zwischen Hutu und Tutsi aufgeteilt sind, natürlich im Weg. Als möglicher Putschist wird einhellig Jean-Baptiste Bagaza genannt, der Burundi in den Jahren 1976 bis 1987 als Diktator regierte und erst vor wenigen Wochen aus dem ugandischen Exil heimkehrte. Die Anhänger Bagazas sind dabei, die Allparteieninstitutionen zu sabotieren. Eine Gruppe radikaler Tutsi-Abgeordneter boykottiert das neue Parlament, und sechs kleine Tutsi-Parteien haben den Auszug aus der Regierung und damit ihren Zusammenbruch angedroht.

Eine Todesschwadron mit Verbindungen zu Buyoyas Partei versuchte letzte Woche einen Mordanschlag auf den Leiter der EU-Vertretung in Bujumbura, den Briten Rudd, zu organisieren. Der ist seitdem ständig von Leibwächtern umgeben. Außerdem wurden die Sicherheitsmaßnahmen vor allen internationalen Einrichtungen in der Stadt verstärkt. Die angespannte Situation erinnert an die Jahre vor Buyoyas Putsch 1996, als schon einmal eine Allparteienregierung hilflos dem Druck von Extremisten beider Lager ausgesetzt war, bis das Militär die Macht ergriff.

Die Hutu-Rebellen wiederum richten sich auf einen langen Krieg ein. Sie erheben „Steuern“ von den Bauern in den Gebieten, in denen sie präsent sind – verschiedene Quellen nennen umgerechnet 1,5 Euro pro Haushalt im Monat mit Zuschlägen für Kaffeebäume und Vieh. Das ist viel für Leute, die von Subsistenzwirtschaft leben und so gut wie nie Geld verdienen.

„Es ist eine Art mobile Gegenregierung“, so der ausländische Hilfswerker. „Die Leute sind zwischen den beiden Seiten gefangen. Zu manchen Tageszeiten kontrolliert die Armee 95 Prozent des Landes. Abends verändert sich das schlagartig.“

Der Abend kommt früh in Bujumbura. Ab 16 Uhr macht die Armee die Straße nach Norden dicht, der einzige Landweg hinaus aus einer Stadt im Belagerungszustand. Die beiden großen Hutu-Viertel Kamenge und Kinama liegen jenseits der Sperren. Bujumburas Tutsi sind wieder unter sich und warten auf die nächsten Raketenangriffe.

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