jenni zylka über Sex & Lügen: Voodoo Love mit Günter
Das Protokoll einer kurzen, mysteriösen Liebe mit anschließender Teufelsaustreibung
7. 7. 02 Komisch. Mein rechter Lieblings-Handschuh ist weg. Ein blauer, von meiner Oma, Gott hab sie selig, eigenhändig gestrickter Wollfäustling, er gehört zu einem todschicken Woll-Ensemble aus Fausthandschuhen an einer Schnur, Mütze und Schal, nicht besonders modern, aber rührend. Ich hatte es herausgekramt, weil ich Schokoladen-Wettessen spielen wollte, irgendwie ritt uns nach ein paar Aquavit der Teufel, Aquavit, da bin ich überzeugt, wirkt halluzigen. (Jedenfalls, wenn er mit einem kleinen Holzkahn einmal zum Äquator und Zurück geschippert worden ist.) Bei mir hat er das Bedürfnis nach albernen Kindheitsspielen ausgelöst, und so kauften wir gestern Abend an der Tanke fünf Tafeln Schokolade, legten uns fünfmal Messer und Gabel auf den Tisch und würfelten darum, wer Handschuh, Schal und Mütze anziehen muss, so ist das bei dem Spiel, manche haben’s eben schwerer. Ich verlor und sollte das Oma-Winter-Ensemble tragen. Und da hing nur noch ein Fäustling an dem Band. Wo kann der andere nur sein? Im Winter gab es definitiv noch beide. (Habe übrigens trotz der Strickklamotten-Hürde gewonnen, gekonnt ist gekonnt.)
10. 7. 02 Habe noch mal meinen Schrank durchwühlt, nix gefunden. Okay, es ist noch ein bisschen hin bis Winter, aber es wundert mich doch! Wo ist das Ding? Komischerweise sieht das Band, an dem der Rest-Handschuh jetzt verloren baumelt, irgendwie aus wie abgeschnitten. Gerade abgetrennt, nicht faserig, nicht wie aus Versehen abgerupft. Sehr mysteriös.
13. 7. 02 Und wenn jemand den Handschuh mit voller Absicht gemopst hat? Wer könnte das sein? Schließlich wohne ich alleine, und es ist doch wohl nicht anzunehmen, dass ein Dieb so mir nichts, dir nichts in mein Schlafzimmer schleicht, um einen Woll-Fausthandschuh abzuschneiden. Also, wenn ich Dieb wäre, ich würde doch eher den Laptop klauen. Oder vielleicht diesen beschissenen Drucker, der ist nagelneu, und die Dinger gehen ständig kaputt. Aber vielleicht hat der Dieb gar keine Korrespondenz zu erledigen und denkt eher an den Winter? Und hat nur eine Hand? Ein einarmiger Bandit? Der Türen öffnen kann, ohne dabei Spuren zu hinterlassen?
14. 7. 02 Das ist doch alles Kokolores. Kein Mensch schleicht sich in eine Kreuzberger Arme-Journalistinnen-Bude, um einen von Oma geklöppelten Handschuh zu mausen. Nicht mal ein realitätsferner Kottbusser-Tor-Junkie. Ich habe in meinem Freundeskreis herumgefragt, natürlich als Erstes bei den vier Damen vom Aquavit-Abend, aber die waren nicht mal in der Nähe meines Schlafzimmers, und die tragen im Winter ohnehin keine Wollhandschuhe, sondern schicke Nappaleder-Fingerlinge, die eine hat immer einen Muff. Außerdem, wieso sollten mich meine Freundinnen plötzlich ärgern wollen? Das macht keinen Sinn.
18. 7. 02 Habe heute „Rosemaries Baby“ geguckt: Vielleicht will mich jemand verhexen, damit ich mich in ihn verliebe? Und braucht dafür „einen persönlichen Gegenstand aus dem Besitz des zu Verhexenden“? Huah. Glücklicherweise glaube ich nicht an solchen Schmu. Und wenn doch, ich muss ja nur aufpassen, ob ich mich demnächst ganz plötzlich in irgendwen verknalle, dann weiß ich Bescheid und kriege auch den Handschuh wieder. Clever.
19. 7. 02 Noch nichts, hätte mich heute zwar fast in einen uralten Kumpel verknallt, dann aber doch nicht, der war schließlich noch nie mein Typ. Danach habe ich auf der Straße einen wirklich extrem gut aussehenden Kotelettenträger gesehen, Schlüsselreize, aber der Blitz hat mich trotzdem nicht getroffen.
21. 7. 02 Immer noch nichts. Halte aber weiterhin die Augen offen.
22. 7. 02 O Gott! Jetzt ist es passiertsf! Gestern Abend bin ich zu Hause geblieben, und habe „Berlin Alexanderplatz“ geguckt, auf Arte. Von 1980. Und als Günter Lamprecht als Franz Biberkopf das erste Mal zu sehen war, fing ich an zu zittern. Ich meine, Günter Lamprecht! Toller Schauspieler, aber der ist, recherchiere ich mal eben im Netz, jetzt 72, und 1980 war er 50! Außerdem wohnt er schon ewig in Köln! Und ist mir viel zu möppelig! Aber ich kann mir nicht helfen, ich liebe ihn, glaube ich. Ich bin verhext. Wie ist der überhaupt an meinen Handschuh gekommen?
25. 7. 02 Günter hat noch nicht auf meine Briefe geantwortet, sein Management wiegelt immer ab, wenn ich anrufe. Ich verstehe das nicht. Hilfe!
29. 7. 02 Ich bin so unglücklich! Und so sicher, dass wir füreinander geschaffen wären! Ich versteh ihn auch nicht: erst der ganze Zauber, und jetzt tut er so, als wüsste er von nix …
3. 8. 02 Ich fahr da jetzt hin. Sechs Stunden Autobahn, dann steh ich vor seiner Tür. Ich muss. Bin verliebt.
5. 8. 02 Habe vorhin einen blauen Wollfaden unter meinem Schrank entdeckt. In dem Handschuh-Blau. Einen ganz schön langen Faden. Sah aufgeribbelt aus. Im Nachhinein ist mir die Szene vor Günters Haustür dann doch irgendwie peinlich, oder sagen wir, unangenehm. Häkele jetzt aus dem langen Wollfaden eine Luftmaschenkette. Für meinen Laptop. Damit ihn keiner klaut. Besser ist besser.
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