piwik no script img

Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich relaxten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Zweiter Teil

„Wer klaut schon solch‘ sabbernde Viecher?“ Zur Untermalung meiner Worte sabberte ich

Was bisher geschah: Der heißeste Sommer seit der Erkaltung der Erdkruste macht die Leute gaga +++ der gutaussehenden Millionärstochter Ilse ist ihr geliebtes, illegal importiertes Chamäleon abhanden gekommen +++ das Chamäleon heißt Rama +++ John Player übernimmt den Fall.

Nachdem ich Ilses großzügigen Vorschuss entgegengenommen hatte, hatte ich die Villa nach Spuren abgesucht. Ramas Terrarium war unversehrt gewesen. Nirgends Hinweise auf Fremdeinwirkung. Es war, als hätte jemand die Echse aus ihrem Habitat gebeamt. Und wer weiß, vielleicht war es genau so geschehen. Ich habe oft genug erlebt, dass sich die absurdeste Vermutung am Ende doch bestätigte.

Weiterhelfen tat mir das jedoch nicht. Ich legte mich im Park neben den Ententeich und zog den psychologischen Ratgeber „Wie Chamäleons denken. Ein psychologischer Ratgeber“ aus der Tasche, den ich mir von Ilses Vorschuss gekauft hatte. Der Kaufpreis würde später auf einer Rechnung mit der Überschrift „Arbeitsmaterialien“ auftauchen. Ich gebe einen Auszug aus dem Buch wieder (mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages): „Herzlichen Glückwunsch zum Erwerb dieses hochwertigen Büchleins! Immer mehr Chamäleonfreunde in aller Welt zeigen Interesse an der psychischen Verfasstheit ihres schuppigen Schützlings. Dieser Ratgeber soll Ihnen dabei helfen, Ihr exotisches Haustier besser zu verstehen. Kapitel eins: Moskito ergo summ. Wenn die Augen rotieren, denkt das Chamäleon. Aus Untersuchungen mit Computeremissionstomographen wissen wir, dass es in der Regel an Moskitos denkt, die es fressen will. Die mentale Visualisation des Beutetiers dient überwiegend der Befeuchtung der Zunge mit klebrigem Speichel. Den Tieren läuft das buchstäbliche Wasser im Munde zusammen. Sabbernde Chamäleons denken zuviel. Stellen Sie einfach einen Eimer ...“

Ich übersprang einige Seiten. „Die Intelligenz einiger Exemplare ist schier unglaublich. Einige von ihnen können sogar, nach entsprechender Anleitung, komplexe transfinite Integrallogarithmen lösen, wie sie beispielsweise in den obstrusen Formalismen der relativistischen Quantenmechanik Anwendung finden.“ Nein, das hatte ich nur geträumt. Ich war über der Lektüre eingedöst. „Dieses Buch ist nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist!“, rief ich mit Bestimmtheit und pfefferte es mit Schmackes in den Ententeich. Da kam mir Kommissar Zufall zu Hilfe. „Na, Player, was haben Sie denn für Probleme?“ Ich wusste sofort, dass es Zufall war, noch bevor ich die Augen gehoben hatte. Diese schnarrende Stimme war mir noch zu gut von unserer gemeinsamen Zeit beim BKA in Erinnerung. James Roger Zufall. Der Hund stand breitbeinig neben mir, die Plautze vorgeschoben, und blickte spöttisch auf mich herab. Ich sprang auf, hechtete in den Teich und ergriff das darin dümpelnde Buch, das zum Glück nix tauchte. „Ist mir aus der Hand gerutscht“, sagte ich, als ich triefend wieder neben ihm stand. Mein Kamelhaarmantel hing wie ein nasser Sack an mir. Zufall musterte mich mit hochgezogener Augenbraue. „Meine Güte, Player, Sie sind ja noch dümmer als der Chamäleondieb, den wir heute eingebuchtet haben.“ Ich wollte Zufall für diese Unverschämtheit gerne die Fresse polieren, aber ich riss mich zusammen und tat überrascht. „Chamäleondieb? Hmm ... ah ja ... sososo ... das klingt allerdings ungewöhnlich. Wer klaut schon solch sabbernde Viecher? Ein Irrer?“ Zur Untermalung meiner Worte sabberte ich, verdrehte die Augen und ließ den Zeigefinger um die Schläfe kreisen. „Sie sind der Irre, Player“, sagte Zufall. „Wissen Sie nicht, dass diese Biester astronomische Summen kosten?“ „Na klar, ich bin ja nicht blöd“, log ich. Zufall machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie sind blöd, und dieser Chamäleontyp ist auch blöd. Er hat später bei einer Bestohlenen angerufen und zehn Minuten mit ihr darüber geplaudert, was die Viecher eigentlich fressen. Da hatten wir schon eine Fangschaltung installiert. Wir haben ihn mit dem Telefonhörer in der Hand verhaftet.“ Ich pfiff durch die Zähne, um Anerkennung zu heucheln. Zufall hielt sich für clever, aber er hatte lediglich einen der dümmsten Diebe der letzten fünfunddreißig Jahre verhaftet. Ich fühlte mich ihm intellektuell überlegen, und das ließ ich auch voll heraushängen, als ich nun ein „Habe die Ehre!“ flötete und beschwingt mit dem nassen Buch unter dem Arm von dannen schlenderte.

Auf dem Rückweg kam ich zufällig an Zufalls Dienstauto vorbei, das er vor dem Park geparkt hatte. Ich ließ die Luft aus allen vier Reifen und ging feixend heimwärts.

Nach Abdruck der ersten Folge erreichten uns zahlreiche Zuschriften. Thomas H. aus Delmenhorst etwa schrieb: „Wunderbar! Aber wie soll ich nun die Zeit bis zum nächsten Mittwoch rumkriegen?!“ Auch Anatol I. aus Bremen-Nord machte geltend: „Ich will keine ganze Woche warten müssen, bis die nächste Folhe erscheint. Das ist doch pervers.“ Aufgrund derartiger Reaktionen haben wir uns entschlossen, den großen taz-Mittwochsroman schon kommenden Freitag fortzusetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen