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Die Talentvernichter

Ratlos stehen die Major-Labels vor der Unübersichtlichkeit des Indierock. Sie setzen auf Formatrock, Innovatives kehrt zu den Indielabels zurück

von GERRIT BARTELS

Wer den Berliner Plattenladenbesitzer Bodo Parlow nach CDs von New-Metal-Bands wie Korn oder Linkin Park fragt, muss damit rechnen, eine unwirsche Antwort zu bekommen. Das ist nicht gerade geschäftstüchtig, aber Parlow, der seinen Laden nahe am Kollwitzplatz hat, einer Touristenhochburg in Prenzlauer Berg, ist rigoros. Er führt Indierock, Indietronics und Elektronik, und nur darüber lässt er auch mit sich reden.

Fragt man Parlow also, was es mit diesem Album von Modest Mouse auf sich habe, erläutert er, dass der böse Major Sony dieses Album in Europa nicht veröffentliche. Einmal in Fahrt, gibt es für Parlow kein Halten: Ja, das Soloalbum des Sängers von Deus wäre erst spät in Deutschland erschienen, weil die Firma keinen Bedarf sah. Und Guided By Voices oder Brian Jonestown Massacre seien in den USA bei einem Major fast vorsätzlich auf Eis gelegt worden!

Nun ist Parlow Plattenladenbesitzer mit Leib und Indie-Seele: ein Nerd, der viel von Nick Hornbys Rob Fleming hat. Andererseits sind Parlows tendenziöse Äußerungen durchaus signifikant: Die Musikindustrie hat nicht nur Umsatzeinbußen wie nie, sie befindet sich auch in einer ästhetischen Krise. Gerade im Segment Rock weiß sie nichts mit den vielen Bands anzufangen, die sie den Indielabels als Zukunftsträger und der Credibility halber abgekauft hat. Reichlich ratlos steht sie einer vorranschreitenden Marktzersplitterung gegenüber. War es Anfang der Neunziger noch so, als sei die Industrie in der Lage, Individualität und Aufsässigkeit zu homogenisieren und effizient zu vermarkten, siehe Nirvana, ist sie in den folgenden Jahren in die alte Lethargie verfallen: Sie kümmert sich bevorzugt um die „gemachten“ Superstars. Die Sparte „Alternative Rock“ hat zwar hohe Wachstumsraten erzielt – doch das war’s schon. Und ewig grüßt der Alternativrocker.

Die Rezepte sind die alten, der schnelle kommerzielle Erfolg das Nonplusultra. An den Aufbau einer Band oder eines Einzelkünstlers ist nicht zu denken. Keine Zeit, kein Geld, kein Plan. Am besten man kauft en gros bei den Kleinen, irgendwas springt schon bei raus, und blendet aus, dass die Krise eine hausgemachte ist. Ideen für neue Styles und Trends: Fehlanzeige.

Also setzt man in England auf das neue Primal-Scream-Album, weil doch ein Track mit Kate Moss dabei ist. Also investiert man in die Zukunft mit Oasis, deren neues Album „Heathen Chemistry“ 1994 prima gepasst hätte. Auch aus den USA nichts Neues: Die Sounds, die als New Rock und New Metal die Welt regieren, stammen aus den Achtzigern und hießen damals Grunge und Funk-Metal-Rap.

Das Format ist die Zauberformel. Und die Epigonen der Epigonen sind die Hoffnungsträger von morgen und werden mit Mann und Promo-Maus an den Start gebracht: Box Car Racer, Hoobastank, Puddle Of Mudd, 30 Seconds To Mars oder 4 Lyn.

Man kann sagen, dass die an sich als überholt geltenden Vorstellungen vom bösen Major und guten Indie aktueller denn je sind. Geschichten von Bands mit schlechten Majorlabel-Erfahrungen gibt es haufenweise. Komische wie die der Band Wilco, deren Album „Yankee Hotel Foxtrott“ in den Warner-Tresoren verstauben sollte. Wilco kauften es zurück und übers Internet landete es wieder bei einem Sublabel von Warner. Oder die der Lo-Fi-Stadionrocker Guided By Voices, die in den USA zwei Alben ebenfalls bei einem Warner-Unterlabel veröffentlichte. Das zweite, „Isolation Drills“, wurde in Europa offiziell gar nicht mehr veröffentlicht und beworben. Guided By Voices sind jetzt zurück bei einem Indie und zurück in den Charts. Talentvernichtung Musikindustrie.

Seit Nirvana sind zahllose Bands aus dem Indie-Bereich gesignt worden – aber nach kurzer Zeit wieder abgewandert oder sie wurden gedroppt. Zahlreiche Indie-Major-Kooperationen wurden geschlossen. In Deutschland zum Beispiel zwischen L’age d’or und Polydor und Sony, zwischen Kitty Yo und Motor – ohne dass viele Bands davon so profitieren konnten wie Tocotronic. Ganze Indielabels wurden aufgekauft wie seinerzeit SubPop oder Matador, wie jetzt Zomba von BMG und Mute von EMI – aber ohne Konzept. SubPop bringt nichts Gescheites mehr heraus und Matador ist wieder Indie.

„Mancher Major gießt Millionen in ein kleines Label und dann gibt es gerade mal eine große Band wie Oasis bei Creation oder Fatboy Slim bei Skint, beide bei Sony. Am Ende kommt nicht so viel rum wie erwartet, und die kleinen Labels gucken in die Röhre“, sagt Christof Ellinghaus, Chef von Labels/Deutschland. Mit Labels versucht Ellinghaus eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Indielabels und Virgin/EMI europaweit zu etablieren. So veröffentlichte Labels in zwei Jahren so viele interessante Acts wie manche Majors in 20 Jahren nicht. Ob Virgin/EMI aber in Krisenzeiten mitspielt und die nicht immer schwarzen Zahlen abnickt, bleibt abzuwarten. Mit Calexico und Notwist konnte Labels immerhin auch kommerziellen Erfolg verbuchen.

Bei einem anderen Indielabel wiederum, bei Kitty Yo, ist man skeptisch. Dem Buhlen größerer Firmen hat Kitty Yo definitiv eine Absage erteilt: „Was wir hier haben, haben die bei den Majors im Leben nicht“, hat Ex-Kitty-Yo-Chef Patrick Wagner einst gesagt. Will heißen: Perspektive und Zusammenhalt, Engagement und Esprit.

Nun spricht man wieder mit kleinen Auflagen gezielt ein Publikum an – und befindet sich so in guter Gesellschaft mit vielen Elektroniklabels und solchen an Schnittstellen von Song und Track: Mille Plateaux, Karaoke Kalk, Kompakt, Scape, Morr Music. Hier bevorzugt man eine Soundfarbe und kümmert sich um ein nicht großes, aber treues Publikum. Um in der Terminologie von Patrick Wagner zu bleiben: Majorlabels bekommen es im Leben nicht hin, Vergleichbares zu erschaffen.

„Schade nur“, sagt dann aber Bodo Parlow und spielt stolz sein privates, lange vergriffenes Hedero/Hellberg-Debüt-Album, „dass nur wenige Leute sich all diese tolle Musik in ihrer ganzen Vielfalt leisten können.“

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