: Rhythmus und Weltanschauung
Beliebt bei Tanzlehrern und DJs gleichermaßen: „Gotan Project“ haben den Tango mit Dub, Down- und HipHop-Beats discofähig gemacht – am Dienstag gastiert das Trio im Stadtpark
Hits wollte Philippe Cohen Solal gar nicht schreiben und aus rein kommerzieller Perspektive nie arbeiten. Trotzdem ist ihm und seinen beiden Mitstreitern Eduardo Makaroff und Christoph H. Müller ein großer Wurf gelungen: Sie haben dem Tango eine Elekro-Infusion verpasst. Die funktioniert in Buenos Aires genauso wie in London, Wien – oder eben in Hamburg. Tango-Tanzlehrer legen die CDs des Gotan Project genauso auf den Schlitten wie DJs rund um den Globus auf den Plattenteller. Und erst als sich Makeroff und Solal in Buenos Aires davon überzeugten, dass ihr Tango-Groove auch im Mutterland von Astor Piazzolla funktioniert, brachten sie ihre erste komplette eigene CD auf den Markt – für die Branche ein alles andere als typisches Vorgehen.
Spott mussten sich die drei, die in der Pariser Clubszene arbeiten, gefallen lassen, als die Kollegen von ihrem Projekt erfuhren, dem Tango ein modernes Elektrogewand zu schneidern. Tango sei alt und musikalisch völlig verstaubt, so das vorschnelle Urteil, erinnert sich Solal. Für die drei Musiker war der Hohn der Kollegen Ansporn genug, es ihnen zu zeigen. Dazu luden sie einige der besten Tango-Virtuosen in das kleine Studio in der Rue Martel ein, unter ihnen die Sängerin Cristina Vilallonga, die genauso wie Nini Flores am Bandoneon und Gustavo Beytelmann am Piano seit der Zeit der argentinischen Militärdiktatur in Paris lebt.
Die ist auch nicht zuletzt Thema in den Texten des Gotan Project. In „Època“ erzählt Eduardo Makaroff von den Verschwundenen und der verzweifelten Suche der Mütter des Plaza de Mayo nach ihren Kindern. Pianist Beytelmannn ist damals den Militärs nur knapp entgangen – binnen 24 Stunden musste der Gewerkschaftsaktivist sein Land verlassen. „El Capitalismo foraneo“ spielt hingegen auf die Kapitalflucht an, mit der nahezu alle Staaten Lateinamerikas zu kämpfen haben. Und auch der Name des Labels, das die Musiker aus der Taufe hoben, hat einen deutlichen Bezug: „Ya basta“ ist immerhin die Parole der Zapatisten.
Solal und seinen Compañeiros geht es weniger um politische Stellungnahmen, als vielmehr ums Bewusstsein. Vielleicht einer der Gründe, weshalb die Musiker so sensibel mit dem Tango umgehen. Interviews mit Solal, der seit Jahren Filmmusik schreibt, gleichen einem mittleren Tango-Seminar: Der Bandleader hat alles Lesenswerte über das Genre verschlungen und betont in seiner Arbeit insbesondere die schwarzen, percussiven Elemente. Die sind im Laufe der Entwicklung anderen Einflüssen, vor allem den italienischen, den jiddischen und spanischen gewichen – Tango wurde sozusagen weiß. „Wir haben den Tango wieder ein bisschen mehr in Richtung tribaler Rhythmik getrieben“, sagt Solal, „ohne zu wissen, dass dort sein Ursprung liegt.“
Der Erfolg in Buenos Aires und darüber hinaus gibt den Musikern Recht, und vor Auftrittsanfragen können sich Gotan Project inzwischen kaum retten. Auch, weil sie sich einiges haben einfallen lassen, um ihren Sound auch optisch in Szene zu setzen. Wovon man sich am Dienstag im Stadtpark ebenfalls wird überzeugen können. Knut Henkel
Dienstag, 19 Uhr, Stadtpark
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