Mit vier Augen sieht man besser

In Hamburg bisher nur auf dem Filmfest 2000 zu sehen gewesen und noch immer ohne deutschen Verleih: Das Abaton zeigt den in Hollywood angesiedelten Film „Timecode“, Mike Figgis‘ gewagtes Splitscreen-Experiment

von ECKHARD HASCHEN

Warum die Dinge nacheinander zeigen, wenn es auch gleichzeitig geht. Um ein zur selben Zeit an verschiedenen Orten ablaufendes Geschehen zu suggerieren, verwenden die meisten Filme bis heute die gute alte Filmmontage und werden dies wohl auch noch lange tun. Schließlich sind deren Möglichkeiten vielfältig und längst nicht ausgeschöpft.

Mit Timecode, der nach über zwei Jahren nun endlich regulär im Kino zu sehen ist, ging Regisseur Mike Figgis den genau entgegengesetzten Weg. Der Film besteht aus vier gleichzeitig von Digital-Kameras ohne Schnitt aufgenommenen Stücken Film von jeweils 90 Minuten Länge. Und so wird das Bild im fertigen Film gleich zu Beginn durch einen senkrechten und einen waagerechten Strich in vier gleich große Rechtecke geteilt und bleibt dies bis zum Ende. Vier Filme im kleinen Format statt einen im großen könnte man nun erwarten. Aber jeder ist eher gleichberechtigter Teil eines Ganzen, und das ist gut so. Denn Figgis ist weniger darauf aus, den Zuschauer zu überfordern, als ihn mitten in ein vielgestaltiges Geschehen hineinzuziehen.

Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Ton zu, mit dem Figgis unsere Aufmerksamkeit durch fließende Übergänge von einem Rechteck aufs andere lenkt. Fast automatisch guckt man zuerst da hin, wo es nicht nur etwas zu sehen, sondern auch etwas zu hören gibt. Wer sich deshalb nun über Bevormundung beklagt, sollte bedenken, dass er in fast allen anderen Filmen gar nicht erst die Möglichkeit bekommt, aus verschiedenen Bildern auszuwählen.

Und so konzentiert man sich meist auf jeweils eines der vier Rechtecke, kann dabei aber noch ganz gut mit halbem Auge das Geschehen in den anderen dreien verfolgen. Auf gewisse Art ist hier nun viel mehr von dem zu sehen, was andere Filme aus erzählökonomischen Gründen aussparen oder indirekt vermitteln: Was die Figuren so alles treiben, wenn das Hauptaugenmerk des Erzählers gerade mal nicht auf ihnen liegt.

Welcher Stoff würde sich besser für ein solches formales Experiment anbieten als die Szenen vom parallelen Leben auf dem schmalen Grat zwischen Erfolg und Misserfolg im Filmbetrieb von Hollywood. So bildet eine Produktionsfirma namens Red Mullet Films, bei der um Rollen und Projekte nur so gekämpft wird, den natürlichen Schnittpunkt der ineinander verschlungenen Geschichten.

In dem großen Ensemble von Figuren gibt es vier, deren Aktionen in jeweils einem (immer wieder wechselnden) der vier Rechtecke fast komplett verfolgt werden: Emma (Saffron Burrows), die gerade beschlossen hat, ihren Mann (Stellan Skarsgård), einen Produzenten, zu verlassen, der sich darüber aber wahrlich nicht beklagen kann. Salma Hayek mimt überzeugend eine junge Schauspielerin, die mit allen Mitteln nach oben will, und Jeanne Tripplehorn eine Agentin, die überall ihre Finger drin hat. Buchstäblich für Auflockerung sorgt Julian Sands als Wellness-Guru, vor allem mit seinen Kopfmassagen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.

Figgis weiß genau, wovon er hier erzählt, hat er in Hollywood doch so ziemlich alle Höhen und Tiefen durchgemacht. Nach einem viel versprechenden Debüt (Stormy Monday) aus England für den Krimi Internal Affairs nach Hollywood geholt, musste er bei Mr. Jones mit ansehen, wie sein Film vom Studio fast bis zur Unkenntlichkeit umgeschnitten wurde. Selbst nach seinem großen Wurf mit Leaving Las Vegas konnte er in Tinseltown nur noch One Night Stand drehen, so dass er sich seit The Loss of Sexual Innocence (1999) mit weniger Geld, aber dafür mehr Kontrolle dem persönlieren Ausdruck widmet. Nichtsdestotrotz ist er jetzt wieder für ein millionenschweres Projekt im Gespräch.

Was Timecode mit seinen anderen Filmen verbindet, ist die Herkunft seines Regisseurs von der Musik. Früher äußerte sich das am stärksten darin, dass er sie immer selbst schrieb. Für Timecode hat er nun darüber hinaus gleich das gesamte Drehbuch wie eine Partitur auf Notenpapier geschrieben. Und so ließe sich der daraus entstandene Film vielleicht am besten als filmisches Kammerkonzert für vier Kameras beschreiben.

Do, 18 Uhr (Einführung Jan Distelmeyer), Fr + Sa, 23 Uhr, So + Mi, 17.15 Uhr, Mo + Di, 22.30 Uhr, Abaton