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Krisen-, struktur- und zeitgeschüttelte Städte

„Die Stadt – ein Auslaufmodell?“ war die ketzerische Frage beim ersten Stadtentwicklungsgespräch in der Reihe „Bremen 2030 – die zeitgerechte Stadt“. Die Antwort: Nein. Die Bedingungen: Keine abgestandenen Ideen importieren und keine Politik der Festivalisierung zulassen

Darüber immerhin bestand Konsens: Die Stadt als solches ist kein Auslaufmodell, wie es – zugespitzt – der Titel des ersten diesjährigen Stadtgesprächs suggerierte. Gleichwohl, auch da war man sich Dienstagabend im Rathaus einig, ist die Stadt ein sehr widersprüchliches Gebilde.

Ilse Helbrecht, die Münchner Geografieprofessorin, bemühte dafür das Bild von der Sphinx Stadt. Drei Rätsel gibt uns, so die geladene Expertin, diese Sphinx auf: Globalisierung, Metropolisierung und Selektion. Der „Raum der Ströme“ der Globalisierung scheint die Städte überflüssig zu machen. Dem widerspricht der gleichzeitige Prozess einer Metropolisierung, die Herausbildung so genannter Global Cities. In einem weiteren Parallelprozess der Selektion entstehen schließlich Gewinner- und Verliererstädte. Dass das struktur- und krisengeschüttelte Bremen nicht zu der ersten Gruppe zählt, war schließlich auch unstrittig.

Was aber kann gegen die unangenehmen Entwicklungen der postindustriellen Städte getan werden? Hier stehen die Experten vor dem Dilemma, die neuesten Urbanisierungs- beziehungsweise Deurbanisierungsprozesse allenfalls beschreiben zu können. Verbindliche Lösungsstrategien scheinen dagegen kaum mehr möglich.

Das sah auch der Stadtplanungsprofessor Marco Venturi aus Venedig so. Ratlosigkeit zeichne seinen Berufsstand aus: Die alten Rezepte der Stadtplanung wirken nicht mehr, verursachen sogar häufig katastrophale Folgen. Aber auch die Stadtpolitik komme mit den alten Methoden nicht mehr voran. Im Konkurrenzkampf der Städte sei es geradezu fatal, auf das zu setzen, was andere auch schon gemacht haben, etwa auf eine Politik der Festivalisierung. Diese Bemerkung Venturis wurde vom Publikum durchaus als kritische Anspielung auf bremische Verhältnisse verstanden.

Wenn es heute immer mehr auf Image und Identität einer Stadt ankomme, dann sei es wichtig – darin stimmten Helbrecht und Venturi überein –, keine Klischees zu produzieren und keine abgestandenen Ideen von außen zu importieren. Vielmehr komme es auf die Stützung jener Potentiale an, die Urbanität immer schon ausgemacht haben: etwa die Bündelung von Kreativität oder die Aushandlung eines subtilen Gleichgewichts der Gegensätze. Nur so kann eine von innen heraus entwickelte Stadtidentität entstehen.

Einen Ansatz in diese Richtung bieten die in Bremen seit einiger Zeit geführten Diskussionen und durchgeführten Experimente zu einer neuen städtischen Zeitpolitik. Das Projektthema „Die zeitgerechte Stadt“ strukturiert ja bekanntlich die diesjährigen Stadtentwicklungsgespräche (siehe taz vom 9. 8.). Das 1997 gegründete ZeitBüro Vegesack ist ein solches, bundesweit erstmals durchgeführtes Experiment.

Nur auf den ersten Blick geht es hier lediglich um die zwar lobenswerte, aber keineswegs weltbewegende Abstimmung von Öffnungszeiten und Verkehrstakten. Dem bekannten Einwand, der aus dem Publikum kam, man sollte die Öffnungszeiten nur liberalisieren, dann würde sich alles von selbst lösen, wurde von Martina Heitkötter von der Bremer Universität, die das Projekt wissenschaftlich betreut, entschieden widersprochen: „Es geht nicht um Deregulierung, sondern um Aushandlungsprozesse. Es geht darum, die Alltagsperspektive mehrheitsfähig zu machen.“

Auf die Frage nach gravierenden negativen Erfahrungen in der Arbeit des ZeitBüros bemerkte Heitkötter, dass bei den Ziehvätern der Großprojekte Haven Höövt und Sedanplatz nicht die Spur von Dialogbereitschaft erkennbar gewesen sei. Das sei eine frustrierende Erfahrung für die bürgernahe Arbeit gewesen. Diese Kommunikationsverweigerung könne sich aber für die Machtpolitik der vollendeten Tatsachen in Form eines Glaubwürdigkeitsproblems noch als Bumerang erweisen.

Wie schwierig und nervenaufreibend Aushandlungsprozesse der Zeitpolitik im kommunalpolitischen Alltagsgeschäft sind, verdeutlichte schließlich „Viertelbürgermeister“ Robert Bücking. Etwa der Konflikt zwischen dem Ruhebedürfnis der Bewohner und der Funktion des Viertels für die Gesamtstadt, die „Dienstleistung Urbanität“ anzubieten, sprich: Hier wird schon mal die Nacht zum Tag gemacht. Lokale Zeitpolitik ist also nicht zum Null-Tarif zu bekommen. Bücking ärgerte sich vor allem über Bürgerinitiativen, die nach dem Sankt-Florian-Prinzip handelten und offensichtlich nicht imstande seien, sich auch mal die Perspektive der Gegenseite vorzustellen.

Trotz aller Konflikte deutet sich die Möglichkeit an, mit einer Diskussion über scheinbar banale Dinge wie Öffnungszeiten eine Tür aufzustoßen zu einem neuen Bewusstsein von städtischer Öffentlichkeit. Vielleicht könnte man in Anlehnung an die alte, leicht angestaubte Bremer Marke „Kunst im öffentlichen Raum“ ja hier von einer Kunst der öffentlichen Zeit sprechen.

Eberhard Syring

Im nächsten Stadtentwicklungsgespräch geht es am 12. September um 16 Uhr im Festsaal des Hauses der Bürgerschaft um „Die Zukunft der Stadt – mobil oder rastlos? Mobilität gemeinsam organisieren“

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