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Hüpfende Kartoffelsäcke

Sie waren die Sample-Piraten der ersten Breakbeat-Generation. Heute feiern Shut Up And Dance im Icon

In Berlin ist der Graben zwischen 4/4-Techno und Breakbeat seit jeher ziemlich tief. „Auf Drum-’n’-Bass-Parties laufen doch nur Kartoffelsäcke rum“ schimpfte einmal ein sportlich trainierter Anhänger der schnurgeraden Bassdrum. Eigentlich kein schlechtes Bild: Säcke sind enorm elastisch, sie lassen sich zusammenknüllen, bis sie rund sind wie ein Flummi. Nichts will der Breakbeat-Körper wiederum mehr, als von einem Bass mitgenommen und durch den Raum geschleudert zu werden. Deshalb ist der menschliche Kartoffelsack besonders gut für die Verwandlung in ein menschliches Flummi geeignet.

Shut Up And Dance aus dem Londoner East End gehören zu den ersten britischen Produzenten, die Acid House mittels Samples aus Reggae, HipHop und Funk zu Breakbeat umbauten. Als sie gemeinsam mit Zeitgenossen wie SL2 oder den Ragga Twins anfingen, Mörderbässe unter dreifach beschleunigte Schlagzeugfetzen zu legen, nannte man das noch „Hardcore“. Von Anfang an veröffentlichten PJ und Smiley ihre harten Hüpfbässe auf dem eigenen Label. Schon VÖ-Nummer-1 des SUAD-Labels, „£10 To Get In“, gehörte auf der Insel zu den Club-Hymnen des Jahres 1990.

Einer großen Öffentlichkeit wurden Shut Up And Dance zwei Jahre später zum Begriff. Da erschien zunächst „Raving I’m Raving“: Ergriffen sang Dancehall- Sänger Peter Bouncer über dieses spezielle Gemeinschaftsding beim Feiern. Der Tune kam so gut an, dass Shut Up And Dance bis auf Platz 2 der britischen Charts gelangten. Es gab nur ein Problem: PJ und Smiley hatten sich nicht weiter darum geschert, dass die Gesangsmelodie von Marc Cohns „Walking In Memphis“ geklaut war. Es gehörte überhaupt zur Politik der beiden, die Rechte an Samples nicht vorab zu klären. So wurde „Death Is Not The End“, das zweite Album von Shut Up And Dance, zu einer Schlachteplatte für Rechtsanwälte: Sechs große Plattenfirmen schickten ihre Rechtsexperten zu Shut Up And Dance, zwei Jahre dauerten die Prozesse an und trieben das SUAD-Label in den vorläufigen Ruin.

Erst im Jahr 2000 war hierzulande wieder etwas von PJ und Smiley zu sehen, als sie wie aus dem Nichts im Icon standen und Garage, Jump Up und Happy Hardcore zu einer berauschenden Party vermixten. Das war an einem Mittwochabend vor ungefähr 32 Leuten. Im letzten Jahr hatten sie wieder einen ziemlich massiven Garage-Hit mit „No Doubt“, gerade ist ihre „Magnolia Collection“ mit Remixen sowie eigenen, meist unter dem Pseudonym „Hackney Soldiers“ herausgebrachten Tracks erschienen. Geändert hat sich wenig. Der Bass bleibt rund, die Flummies, die dazu im Icon hüpfen auch. CHRISTOPH BRAUN

Heute 23.30 Uhr, im Icon, Cantianstr. 15, Prenzlauer Berg

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