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Die Wahrheit der Insekten

Insekten werden erst zur Kenntnis genommen, wenn sie stechen oder eklig werden. Aber wie, wenn man sich in sie hineinversetzt? Diese etwas andere Realität zeigt eine Ausstellung am Güterbahnhof

Die Welt funktioniert, weil der gemeine Mensch nicht ehrlich informiert wirdUfos sind nichts als menschlicheProjektionen. Aliens auch. Und Insekten?

Jeder Mensch hat so seine Faibles – einige leben sie einfach nur gezielter aus. Der Wiesbadener Aktionkünstler Inox Kapell zum Beispiel kultiviert seine Neugierde auf alles Außerirdische und auf Ufos. Während Anja Fußbach, Bremer Künstlerin, bereits vor zehn Jahren zum ersten Mal Insekten aus Schrott zusammenbaute. Der Künstler und die Künstlerin sagen: Ufos sind Projektionen, Aliens auch. Obendrein addieren sie noch Insekten hinzu.

Der Glaube an die Existenz des Extraterrestrischen ist die Projektion unserer Sehnsucht nach dem Extravaganten, das uns über die Belanglosigkeit des Daseins hinaushebt. So ähnlich funktioniert unsere Vorstellung von Marsmenschen – und die Vorstellung der beiden Aktionskünstler.

Was tastet sich da durch unsere Träume? Käfer? Harmlos scheinen diese Krabbelwesen. Jedenfalls solange sie klein sind. Schwillt der Käfer in unserer Fantasie an, räkelt er sich, schlägt große Augen auf und zu und scharrt mit seinen Fühlern. Dann wird schlagartig klar: Sie leben doch in einer völlig fremdartigen Welt. Das Fremde in den Körpern kettet die einen mit den anderen Wesen zusammen. Von ihrer spezifischen Wahrnehmung schließen sie die Menschen aus.

Aber wie mag es sich anfühlen, ein Käfer zu sein? Ist es so, wie Kafka in der „Verwandlung“ geschrieben hat? Wie, wenn man in einem Panzer auf dem Rücken schaukelt, verzweifelt mit den Beinen zappelt, wehrlos ausgeliefert in einer vertrauten Welt, aber in einem fremden Körper steckt? Insekten sind immer da, aber wir bemerken sie erst dann, wenn sie uns unangenehm auf die Pelle rücken. Wenn sie sirren, wenn sie zustechen, oder irgendwie eklig werden.

Anja Fußbach hat ihre Insekten aus Pappmaché, mit Fühlern aus rostigen Eisenstangen gebaut, groß wie kleine Kinder. Sie hat am Boden kriechende Körper mit Sinnesorganen von Spielzeugpuppen verschmolzen. Käfer mit Puppenmündern, -ohren, -augen, -nasen hocken träge auf dem PVC.

Die Ufos (und die vielen Bücher über sie, die Inox Kapell gleich mit in einer Zimmerecke aufgeschichtet hat) und die Käfer sind das Eine, der Titel der Ausstellung das Andere. Kapell und Fußbach beschlossen nach drei Wochen gemeinsamer Arbeit, die Welt nicht nur anregen, sondern auch aufklären zu wollen. Denn das System hier funktioniere, weil der gemeine Mensch nicht ehrlich informiert wird. Das Fazit: „Die Regierung lügt. Come and tell us.“

Ob die BetrachterIn Objekte, Zeichnungen mit dieser Überschrift in Einklang bringt? Es kommt darauf an, nicht zu konsumieren, sondern hinzuschauen. Die Verwirrung ist Konzept. „Ich würde jetzt nicht sagen, dass die Tatsache, dass wir fehlinformiert sind, mit Außerirdischen zu tun hat“ (Anja Fußbach). Sie und Kapell wollten jedoch ausdrücken, wie die Art der Information das Bild von der Realität verfremdet. Zu einer Begnung mit dem Unbekannten wird.

Alles bloß Jux? Nein, das Unbekannte ist überall. Wer bei Fußbach und Kapell genau hinschaut, wird zu seinem persönlichen Vergnügen jede Menge kurioser Eindrücke mitnehmen.

Bärbel Nückles

Galerie Herold am Güterbahnhof, bis 22. August. Am 28. August führt Inox Kapell ab 19 Uhr ein letztes Mal eine Käferexkursion (Kapell kennt sich mit Käfern aus!) über das Güterbahnhofgelände. Geöffnet Dienstag bis Donnerstag von 16 bis 19 Uhr oder nach Vereinbarung (0421/9579999).

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