Lockrufe in Stahl

Die Monumentalität und ihr Scheitern: Eduardo Chillida, einer der wichtigsten Bildhauer unserer Zeit, ist tot

Den Wind kann man nicht kämmen, aber Eduardo Chillida hat es wenigstens probiert. Seine „Windkämme“, die er in den Siebzigerjahren an der Atlantikküste unweit seiner Geburtsstadt San Sebastián aufstellte, gehören zu den ergreifendsten Skulpturen, die je ein Bildhauer geschaffen hat. Zum einen sind diese hoch aufragenden, wild und unbändig gekrümmten, an Forken von Riesen erinnernden Gebilde aus Stahl so monumental und mächtig, dass es fast schmerzhaft ist. Zum anderen offenbaren ihre Monumentalität und Macht nur umso deutlicher ihr Scheitern, welches einem nichts anderes übrig lässt, als es als Sinnbild für ein Scheitern im Grundsatz zu verstehen. Der Mensch stemmt sich gegen die Elemente der Natur und mag sie vielleicht sogar für eine Weile bezwingen. Doch wer die von Gischt umtosten „Windkämme“ an der schmalen Grenze zwischen Fels und Meer einmal gesehen hat, der kann trotz all ihrer Kraft keinen Zweifel daran hegen, dass das Meer, die Gischt und der Fels noch da sein werden, wenn der Stahl bereits längst vergangen ist.

Eigentlich hatte Chillida Architekt werden wollen. Nach drei Jahren jedoch brach er das Studium an der Universität von Madrid ab und wechselte 1947 zur Kunstakademie Circolo de Bellas Artes, um dort erst mal das Zeichnen zu lernen. Anschließend ging er noch nach Paris, besuchte beinahe täglich den Louvre, wobei ihn die Skulpturen der griechischen Frühklassik besonders faszinierten. Das war dann schon Chillidas ganze künstlerische Ausbildung: Das Archaische, die Klarheit der Form und die Betonung der Tektonik waren die Parameter, die sein Werk (im Übrigen auch sein umfangreiches grafisches Werk) seither bestimmen und den 1924 geborenen Basken in den Kreis der bedeutendsten Bildhauer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts heben sollten.

Chillidas persönlicher Stil war in seiner Einfachheit so ausgeprägt, dass man seine Arbeiten auch als Laie auf Anhieb wiedererkennt. Das Erste, was an ihnen auffällt, ist ihr Gewicht. Man kann die Last, die sie auslösen, regelrecht sehen. Das Zweite ist, dass sie ihr Gewicht zu ignorieren scheinen, und das ist nur vermeintlich ein Widerspruch. Stahl, neben Alabaster und Schamotte Chillidas bevorzugter Werkstoff, ist ein Material, das so fest ist und gleichzeitig so formbar, dass es imstande ist, die Gesetze der Statik neu zu schreiben und um den Eindruck des Unmöglichen zu ergänzen. Die breiten Balken, aus denen die meisten seiner Skulpturen bestehen, recken sich hoch, biegen sich und kippen dann so unvermutet in die Horizontale, dass man meint, sie müssten jeden Moment umstürzen – was sie natürlich nicht tun, denn sie folgen einer Harmonie, von der Chillida selbst einmal sagte, in ihr sei außer „dem Bekannten“ auch „das Unbekannte und sein Lockruf“.

1951 kehrte Chillida nach den Lehrjahren in Paris nach San Sebastián zurück. Bis sich die ersten Erfolge einstellten, dauerte es noch ein bisschen, doch dann ging es steil bergauf. 1958 war er mit zwölf Arbeiten im spanischen Pavillon auf der Biennale von Venedig vertreten und erhielt – mit 34 Jahren – prompt den Großen Internationalen Preis für Skulptur. Vier Mal wurde er zur Documenta nach Kassel eingeladen, zahllose Ehrungen, öffentliche Aufträge und Ausstellungen in den wichtigsten Museen der westlichen Welt schlossen sich an. Im Jahr 2000 wurde vor dem neuen Bundeskanzleramt in Berlin seine sechs Meter hohe Arbeit „Berlin“ installiert, die inzwischen von einem ungünstigen auf einen besseren Ort umgesetzt wurde. Damit trat Chillida die Nachfolge eines anderen großen Bildhauers des 20. Jahrhunderts an: von Henry Moore, der sich in Bonn vor dem dortigen Kanzleramt mit den „Two large forms“ verewigt hatte. Und ebenfalls vor zwei Jahren, da war Chillida schon todkrank, wurde in dem Örtchen Zabalaga in der Nähe von Hernani im Baskenland das Museo Chillida-Leku eröffnet, ein Freigelände mit vierzig großen Werken. Es ist so etwas wie sein künstlerisches Testament geworden. Am Montagabend starb Eduardo Chillida im Alter von 78 Jahren bei sich daheim, in seinem geliebten Baskenland in San Sebastián. ULRICH CLEWING