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Im Kanzleramt brennt noch Licht

SPD und Union präsentieren ihre Kandidaten auf Wahlplakaten als Gegenbesetzungen: Schröder wird als ernster Staatsmann inszeniert, Stoiber als freundlicher Kommunikator. Das Ergebnis: Schröder kann sich in Stoiber, Stoiber aber nicht in Schröder verwandeln. Zwei Bildbeschreibungen

Kanzler Schröder ist eine Märchenfigur. Er wacht über den Schlaf seiner Untertanen

von STEFAN REINECKE

Der Kanzler sitzt am Schreibtisch. Rechts hinter ihm schimmert hinter dem Fenster die blaue Nacht. Es ist spät geworden, Deutschland schläft, aber im Kanzleramt brennt noch Licht. In der einen Hand hält Gerhard Schröder ein Papier, in der anderen einen Füller.

Der Kanzler schaut uns nicht an. Er würdigt uns keines Blickes, er schaut nach unten auf seinen Schreibtisch, dort, wo er die Arbeitslosigkeit besiegt. Sein Antlitz ist skeptisch – gedrückt von der Verantwortung, die auf ihm lastet. Lächeln wäre Luxus. Der Kanzler arbeitet – für uns. Deshalb schaut er uns nicht an. Er hat Wichtigeres zu tun.

Dieser Kanzler ist mehr als der pflichtbewusste, eifrige erste Angestellte der Deutschland AG. Er ist ein Märchenheld: Er ist derjenige, der über unseren Schlaf wacht. Ein guter König, der seinen Thron gegen einen Schreibtisch, sein Zepter gegen den Füllfederhalter eingetauscht hat. „Das Ziel meiner Arbeit? Dass alle Arbeit haben“ liest man unten rechts auf dem Plakat.

Das Bild ist in Sepiafarben gehalten und handwerklich beeindruckend. Die Gestaltung, der erleuchtete Herrscher, umgeben vom Dunkel, erinnert an die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, oder an Caravaggios schroffe Helldunkelkontraste. Die Lichtsetzung ist präzise, der Kanzler, grobkörnig fotografiert und ganz leicht unscharf wirkend, scheint von Melancholie umflort.

Das sorgt dafür, dass der donnernde Kitsch dieser Macht- und Opferinszenierung verträglich erscheint. Auch das Pathos des Motivs – der sorgenzerfurchte Staatenlenker kümmert sich des Nachts um das Wohlergehen seiner Untertanen – erscheint in dieser Inszenierung wie wattiert, abgefedert. Das Sepiafarbene tönt das Bild ab, von weitem wirkt es wie eine Schwarzweißfotografie. So wird das Artifizielle, Stilisierte dieses Arrangements betont.

Raffiniert ist diese Inszenierung, weil sie Machtbilder zitiert und mit Assoziationen populärer Kultur mischt. Das Herrschaftsmotiv wirkt wie übermalt von einem anderen Genre: den Bildern einsamer Männer in der nächtlichen Großstadt, die wir aus dem Kino und amerikanischer Malerei kennen. Pointiert gesagt: Das Motiv zeigt Gerhard Schröder als Bismarck, die Inszenierung assoziiert ihn mit Edward Hoppers verlorenen „Nighthawks“. Deshalb wirkt das „Männer machen Geschichte“-Thema nicht altbacken, sondern hip.

Union und Sozialdemokratie sind inhaltlich, in den wesentlichen Fragen in der Wirtschafts- und Außenpolitik, bekanntlich so gut wie ununterscheidbar geworden. Seit 1989, seit der Auflösung der großen ideologischen Fronten, regiert, mehr oder weniger deutlich sichtbar, lagerübergreifender Pragmatismus. Interessanterweise versucht die SPD-Werbung keineswegs, wie man ideologiekritisch vermuten könnte, diesen verschwundenen Unterschied zu reinszenieren und uns weiszumachen, dass wir es mit echten Alternativen zu tun hätten – sie zielt auf das genaue Gegenteil. Denn dieser Plakatkanzler ist nicht hemdsärmelig, kein sozialdemokatischer Kumpeltyp, kein lockerer Kanzler zum Anfassen, sondern seriös, arbeitsam, ernst und weltentrückt. Nicht zufällig sind dies genau die Attribute, mit denen gewöhnlich Edmund Stoiber beschrieben wird. Nicht nur politisch, auch ästhetisch, auch in der Bilderproduktion, gilt die Doktrin der Mitte.

Und Edmund Stoiber? Er tut, was fast alle Politiker auf Plakaten tun: Er lächelt. Und zwar von links in Richtung Angela Merkel, die sein Lächeln erwidert. Nicht machtdunkel und einsam wie Schröder – weiß, hell, luftig ist dieses Bild. So wie Schröder wird auch Stoiber gegen seine Rolle besetzt. Kein Schreibtisch, keine Akte. Nirgends.

Das Arrangement soll locker und aufgeräumt wirken. Es will sagen: Stoiber und Merkel, der Kandidat und die Exkandidatin, der Bayer und die Ostdeutsche, CSU und CDU harmonieren.

Doch je länger man das Bild betrachtet, umso merkwürdiger wirkt es. Stoiber, der oft abwesend und in sich versunken wirkt, wendet sich Angela Merkel zu. Das ist mehr als allgemeiner human touch. Die Botschaft lautet: Stoiber, der Strebsame, kommuniziert mit einer Frau. Das Spontane, Weibliche soll auf den Kandidaten abfärben.

Wir haben es mit einem erotischen Arrangement zu tun. Wir sehen ein Paar, das sich anschaut und von uns angeblickt wird. Angela Merkels Lächeln ist betont warm und sanft – doch seltsamerweise fällt ihr Blick ein wenig von oben herab. Vollends irritiert, dass nicht genau zu erkennen ist, wohin Stoiber schaut. Sein Auge ist vom Rand seiner Brille verdeckt – vielleicht schaut er geradewegs an Angela Merkel vorbei? Stoiber scheint die in der Tat zweifelhafte, leicht kokette Intimität von Merkels Blick nicht zu erwidern. In weiter Ferne, so nah! So mögen sich Paare anblicken, die sich trennen werden. Diese Inszenierung will Kommunikation, Nähe, Vertrautheit suggerieren – doch en détail betrachtet zeigt sie das Gegenteil: eine Verfehlung.

Der Wahlkampf wird oft als Materialschlacht, als Bilder- und Imagekrieg beschrieben. Der Raum, in dem die Wahlstrategen in den USA ihre Pläne und Attacken auf den Gegner entwickeln, heißt „war room“. In der Tat gibt es zwischen Kriegs- und Wahlkampfstrategie eine Ähnlichkeit. „Der Krieg“, schreibt der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld, „ist diejenige Tätigkeit, bei der die Nachahmung die größte Rolle spielt. Noch während des Kampfes gleichen beide Seiten ihre taktischen Vorgehensweisen, die eingesetzten Mittel den Verhältnissen des Gegners an. Früher oder später ist es dann so weit, dass die beiden nicht mehr unterscheidbar sind.“

Darauf zielen auch diese Plakate. Geprobt wird die Imitation des Image des Gegners. Das Resulat ist eindeutig. Stoiber bleibt auch im intimen Arrangement immer – Stoiber. So lautet die Botschaft in der Botschaft in diesem Plakat: Edmund Stoiber trotzt stocksteif jedem Versuch, ihn zu ändern, aufzuhellen, näher zu rücken, zu vermenschlichen. Stoiber kann nicht nur nicht sonderlich gut reden, er kann noch nicht mal so aussehen als wäre er ein Kommunikationstalent. Das Material sperrt sich gegen seine Inszenierung.

Bei Schröder hingegen funktioniert der Bedeutungstransfer. Schröder, der Camouflage-Künstler, kann bei Bedarf zum Staatsmann, zum melancholischer Patriarchen werden. Er versteht es, Stoiber nachzuahmen und „die eingesetzten Mittel dem Gegner anzugleichen“.

Schröder bei Nacht, das ist ein perfektes Bild. Alles passt, nur eines stört: die Schrift. Vier Millionen Arbeitslose werden kurzerhand zu Mündeln des Kanzlers erklärt. Mit einer paternalistischen Geste scheint der Kanzler die Erinnerung an sein Scheitern wegzuwischen.

Gerhard Schröder erschien lange als Verkörperung eines aufgeklärten Kapitalismus – die Zahl vier Millionen ist, symbolisch und tatsächlich, das Dementi des sozialdemokratischen Versprechens, dass Gerechtigkeit politisch herstellbar ist. Dieses Plakat macht den Vorteil des Kanzlers im Krieg der Bilder und Images sichtbar – und seine Schwäche lesbar.

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