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Nachbar Gerd surft auf der Flutwelle

Massenandrang auf dem Domshof: Tausende wollten den Kanzler sehen und hören. Einen Euphoriekick für die Zielgerade im Wahlkampf konnte Gerhard Schröder aus dem von der Hitze trägen Bremen aber trotzdem nicht mitnehmen

Bremer lieben Schröder. Oder wollen sie nur noch ein letztes Mal den scheidenden Kanzler sehen? Jedenfalls ist der Domshof knackevoll. 8.000 Menschen, schätzt die Polizei. Die SPD legt sogar noch 1.000 drauf. Und das mitten am Nachmittag.

Den Anheizer gibt Hans Koschnick, der damit noch einmal eine persönliche Wahltournee für die SPD beginnt. „Früher, als er noch bei den Jusos war, hatte ich imer was gegen den Gerd“, gibt der Alt-Bürgermeister zu, aber heute, „da habe ich alles für ihn.“ Auch ein paar gute Ratschläge: Hart bleiben in der Irak-Kriegsfrage und bloß keine Ampelkoalition: „Da würde ich aufschreien vor Entsetzen.“

Dann kommt der Noch-Kanzler. In den ersten Reihen wedeln Fähnchen: „Dranbleiben, Gerd.“ Das klingt irgendwie nach hinterherlaufen. Und dann auch noch in bayerischem Blau-Weiß. Überhaupt, was hat die SPD-Kampa geritten, ihr Motto „Für ein modernes Deutschland“ mit dem Brandenburger Tor, dem alten Ostberliner Fernsehturm und einem Kohleförderturm zu illustrieren?

Die Erwartungen sind hoch. Wird er es noch einmal schaffen, das Ruder rumzureißen? Wird er aus dem Duell-Formtief finden? Er findet. Ein frischer Bundeskanzler betritt pünktlich die Bühne und spielt gleich als erstes seinen neu erworbenen Trumpf: „Als Nachbar“ sei er gern gekommen, sagt der Hannoveraner, „in eine Stadt, in der man weiß, was Flutkatastrophen bewirken können und wie wichtig Solidarität ist.“ Damit ist das zentrale Stichwort gefallen: Der ursozialdemokratische Wert feiert in diesem Wahlkampf ein ungeahntes Comeback. Vergessen ist „New Labour“: Arbeitnehmerrechte, Chancengleichheit, garantierte Gesundheitsversorgung und gemeinschaftlicher Wiederaufbau der Flutgebiete – das sind Schröders Kernthemen. Mit der gewohnt heiseren Stimme des Kämpfers geißelt Schröder Egoismus und Schuldenmacherei bei Union und FDP. Auch in Bremen kommt noch mal das missverständliche Wort vom „deutschen Weg“: „Das heißt, dass wir alle Kraft mobilisieren, um die Balance zwischen Kapital und Arbeit zu halten.“ Ein Exportschlager soll daraus werden: „Das ist unser Beitrag zum geeinten Europa.“

Die Realität sieht leider anders aus, wie die Transparente von Motta-Arbeitern aus Schwanewede zeigen. Schröder verweist entschuldigend auf die Globalisierung, wegen der über 380 Motta-Jobs leider in Schweizer Konzernetagen entschieden werde. Aber er kann es nicht lassen, bietet an, die Motta-Bosse zum gemeinsamen Gespräch mit dem Betriebsrat zu laden. Er wirkt dabei wie ein schwacher Abklatsch des Holzmann-Kanzlers und heimst auch nur höflichen Applaus ein. Für Ovationen reicht es heute nicht. Zu heiß? Nur ein Sozialdemokrat afrikanischer Herkunft wirft ein paarmal die Arme in die Luft und ruft dazu „Gerhard, Gerhard“.

Am Ende sind die Leute nicht unzufrieden, aber auch nicht euphorisch. Auf die Frage, wie es denn war, sagte ein Kundgebungsteilnehmer: „Wie immer – ganz gut.“

Jan Kahlcke

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