: Häppchen unberührt
Bremer Dotcom-Firmen präsentieren sich auf der „Mittelstandonline“: Der Hype ist längst, das Wundenlecken noch lange nicht vorbei
Es ist kaum anders als im vergangenen Jahr: Blonde Hostessen stehen lächelnd wie gelangweilt an den Gängen, Schlipsträger schauen ins Leere, Häppchen bleiben unberührt. Es ist wieder „Mittelstandonline“, die Messe der Bremer Dotcom-Branche. 70 Aussteller aus der Region präsentieren sich auf 2.000 Quadratmeter. Und weil Bremen nicht gerade Silicon Weser ist, weil das Wundenlecken noch längst nicht, der Hype lange vorbei ist, treffen sich an diesem ersten Tag von „Mittelstandonline“ nicht besonders viele Fachbesucher in der Messehalle 4.
Aber es gibt noch Hoffnung: „Immerhin lässt es sich besser an als im vergangenen Jahr“, sagt Oliver Wächter, Chef von Bremen Multimedial, einem Zusammenschluss von 175 Internetfirmen aus der Region. Im vergangenen Jahr habe es, so Wächter, nur „interessante Gespräche, aber kaum Aufträge gegeben“. Es war das Jahr 2001, die Zeit um den Dotcom-Crash, der auch in Bremen viele Jobs kostete.
„Nach dem 11. September war es absolut tot“, sagt einer, den die Krise ganz besonders schlimm getroffen hat. Es ist aber auch einer, der jetzt wieder Hoffnung schöpft: Jens Wünderlich, Geschäftsführer von Engram. Einst war die Internetfirma die Nummer 2 in Bremen, hatte 60 Jobs und einen Jahresumsatz von fünf Millionen Mark. „Unsere Berater sahen kein Problem darin, uns an die Börse zu bringen“, sagt Wünderlich. Das war im Jahr 2000.
Banken, Sparkassen oder BMW waren die Kunden der Firma, die am Flughafen auf 1.800 Quadratmetern in E-Business oder Web-Layout-Software machte. Wünderlich sagt stolz: „Wir haben immer schwarze Zahlen geschrieben.“ Dann begann der Abstieg der Firma, die er und Thomas Koch 1990 von der Uni weg gegründet hatten. „Die Märkte spielten verrückt“, sagt der Boss. Zum Schluss waren noch 30 Leute bei Engram, Ende Juni kam die Insolvenz.
Und dennoch – vielleicht ist Engram auch damit symptomatisch für die Branche – versucht die Firma derzeit wieder den Neueinstieg. Da Engram offensichtlich „Substanz“ hatte, wurde eine Auffanggesellschaft gegründet. Aus der AG wurde eine GmbH, die Nordwest Kapitalbeteiligungsgesellschaft der Sparkasse schoss zu.
Mit 15 Arbeitsplätzen fängt Engram derzeit wieder an – und einem Stand auf der „Mittelstandonline“. Noch sei das Geschäft mit Neukunden „kritisch“, sagt Wünderlich, „viele Etats sind noch geblockt“.
Die Messe dauert noch bis Freitag, und Wünderlich hat die Hoffnung eigentlich nie aufgegeben. Deshalb hofft er auch auf die Wahlen am 22. September: „Psychologisch wird dann eine Wende auftreten, egal wie es ausgeht.“ Kai Schöneberg
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