: Erleuchtung für Anfänger
„Samsara“, der Debütfilm des indischen Regisseurs Pan Nalin, verspricht erhöhtes Weltverständnis für jedermann
Der erste Spielfilm des indischen Regisseurs Pan Nalin lässt sich Zeit. Übersetzt heißt „Samsara“, der Filmtitel, „Welt“, und es geht um nichts weniger als um die Frage nach spiritueller Erleuchtung. Als Schlüssel zum erhöhten Weltverständnis dient folgendes Rätsel: „Wie kann man einen Wassertropfen vor dem Austrocknen bewahren?“ Es ist in einen Stein eingeritzt. Dreht man ihn um, erhält man die Antwort. Darauf aber kommt der Held namens Tashi (Shawn Ku) erst am Ende dieses, wie der Regisseur meint, „spirituell geprägten Liebesfilms“. Zuvor muss sich Tashi mit der Gretchenfrage des Spiritualismus beschäftigen: „Was ist wichtiger: Tausend Wünsche zu befriedigen oder einen einzigen wahrhaft zu besiegen?“.
Anders als das Christentum ordnet der Buddhismus Körper und Geist nicht in unversöhnliche Gegensätze, auch wenn er das Zölibat als Bedingung für menschliche Erleuchtung verfügt. Dafür entschied sich Buddha aber erst im 29. Lebensjahr. Wer also kann wissen, ob Askese oder weltliches Leben zu höchsten Einsichten führt? Diese Frage wird der Mönch Tashi erst später seinem Lehrer (Sherab Sangey) entgegenschleudern. Zunächst, und damit beginnt der Film, meditiert er drei Jahre, drei Monate und drei Tage in einer Höhle 4.500 Meter über dem Meeresspiegel. Drei ist dem Buddhismus eine heilige Zahl. Die Haare sind gewachsen, die Fingernägel auch. Als eine Mönchs-Delegation den abgemagerten Mann ins klösterliche Leben zurückholt, sind zudem seine Finger in der ordnungsgemäßen Meditationshaltung versteift. Der Film belässt es bei diesen Insignien der Vergeistigung. Denn der Regisseur möchte sowohl Buddhismuskundige als auch Laien ansprechen.
Letzteres ist wohl auch ein Grund für die Besetzung der drei Hauptrollen mit westlich-asiatischen SchauspielerInnen aus New York, Hongkong und Berlin. Die restlichen Bauerngesichter kommen aus der Gegend. Auch der dem voyeuristischen Zuschauerblick ausführlich vorgeführte Heldenkörper weist insbesondere in seiner nackten Rückenansicht hollywoodkompatible Potenziale auf. Nachdem die verkrüppelten Hände unter beachtlichem Krachen wieder gerade gebogen wurden, der Kopf rasiert und endlich auch die Augenbinde entfernt, scheint Tadeshi insgesamt wieder bereit, der Welt von einer höheren Warte aus ins Auge zu blicken. Stattdessen aber versenkt er sich in das Gesicht einer traumschönen Frau (Christy Chung), verlässt das Kloster und macht sich erst mal im Reich der Sinne kundig. Ausgedehnte Sexszenen lösen Landschaftsaufnahmen ab. Gesprochen wird wenig. Überhaupt wäre alles gut, funkte nicht männliche Gier dazwischen.
Die Geschichte ist so banal wie sattsam bekannt, vom Kitschfaktor nicht zu reden. Und gäbe es nicht die manchmal fast humorvolle Kameraführung mit ihren durch Schönheit benebelnden Landschaftsaufnahmen der Gegend um Lakha – einer Stadt zwischen Indien und Pakistan und scheinbar direkt unter den Wolken –, brächten wohl nur Hartgesottene die Geduld für 138 Minuten Spiritualität im Taschenformat auf. So aber schleicht sich Ruhe selbst ins weltlich gesinnte Gemüt der Großstadt. Nach einer Stunde möchte man dringend auch so eine schöne, kluge Frau haben und mit ihr Heu dreschen. Und nach der zweiten der Adler sein, der über dem Geschehen kreist und die Anfangs- und Endsequenz des Filmes beherrscht. Und wissen, wie ein Regentropfen vor dem Austrocknen bewahrt werden kann. Die Antwort? Na ja: Es ist eben eher ein Film für einsame und verschwiegene Sonntagnachmittage.
INES KAPPERT
„Samsara“. Regie Pan Nalin. Mit Shawn Ku, Christy Chung, Sherab Sangey, D/ F/I/Indien 2000, 138 Min.
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