piwik no script img

„L‘Affice, il y a qu‘ca“

Henri Toulouse-Lautrecs Plakatwut, Bilder und Zeichnungen: Umfassend dokumentiert und ausgestellt vom Museum für Kunst und Gewerbe

von CORINNA KAHL

Paris, Weltmetropole und kulturelles Zentrum der Moderne, zog zum fin de siécle die Menschen an wie ein Magnet. Auch den Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) Justus Brinckmann zog es immer wieder in die Stadt an der Seine, wo er 1894 erstmals 14 Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec für sein Museum erwarb.

Aus diesem Grundstein entstand eine umfangreiche Sammlung von Werken des kleinwüchsigen Künstlers, die, ergänzt durch zahlreiche Leihgaben norddeutscher Museen und aus Privatbesitz, anlässlich des 125-jährigen Bestehens des MKG jetzt – und ausschließlich in Hamburg– zu sehen ist.

Die 265 grafischen Arbeiten dokumentieren das vielfältige Schaffen Toulouse-Lautrecs ebenso wie das von zahlreichen führenden Illustratoren und Plakatkünstlern der Epoche, unter anderem Pierre Bonnard, Jules Chéret, Alexandre Théophile Steinlein und die Künstlergruppe der Nabis. Diese aus einem Freundeskreis von Schülern an der Académie Joulien hervorgegange Bewegung setzte der naturalistischen Malerei ihre Vorstellung von der Leinwand als Fläche entgegen, auf der sie symbolische, über das Sichtbare hinausgehende Inhalte festhielten. Der Schwerpunkt der Ausstellung wurde auf die kostbaren Farblithografien gesetzt.

Die künstlerisch anspruchsvolle Grafik, die sich von Zeitungsillustrationen und kommerziellen Drucken abheben wollte, entstand seinerzeit in der Radierung. Durch die von Jules Chéret eingeführte Farblithografie war es bald auch Malern möglich, farbige Drucke als Originalgrafik zu realisieren. Unter dem federführenden Toulouse-Lautrec versuchten sich zahlreiche Künstler in der neuen Technik und lösten schnell eine regelrechte Plakatsucht, die Affichomanie, aus.

Die durch die Lithografie ausgelöste Popularität ermöglichte es Toulouse-Lautrec, bald die Menschen seiner lieb gewordenen Heimat am Montmarte zu porträtieren. In die Szene eingeführt hatte ihn der Chansonnier und Barbesitzer Aristide Bruant – dessen von Toulouse-Lautrec entworfenes Plakat bis heute an den Postkartenständern dieser Welt zu finden ist.

Den Plakaten von Toulouse-Lautrec, damals als besonders freizügig und provozierend empfunden, verdankten die weiblichen Stars vom Montmarte – wie etwa Yvette Guilbert, May Milton oder „La Goulue“ Louise Weber aus dem Moulin Rouge – einen nicht unbedeutenden Teil ihrer Popularität. Oft erscheinen sie darauf als göttergleiche, anbetungswürdige Wesen. Ein Eindruck, der auch der Statur des Künstlers – er maß nur 1,50 Meter – geschuldet ist.

Die für ihn typische Perspektive von leicht unten wandte der Künstler, besessen von den Parias der Gesellschaft, auch bei der Darstellung von einfachen Waschfrauen und Huren des Viertels an. Wochenang lebte Toulouse-Lautrec in einem Bordell, um die Prostituierten später in der den Alltagssituationen gewidmeten Bilderserie „Elles“ zu verewigen. Diese neuartige Sichtweise, die die Prostituierten etwa beim Umziehen oder beim Frühstück zeigt, sorgte in Verbindung mit Toulouse-Lautrecs Bekanntheitsgrad für Skandale, lenkte aber im Endeffekt die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erfolgreich auf die Not der Menschen in den Elendsvierteln.

Mit einigen seiner Modelle, darunter die Malerin Suzanne Valadon und Rosa „la Rouge“ unterhielt Toulouse-Lautrec auch intime Beziehungen, da ihm die zeitgenössischen Konventionen aufgrund seiner Gestalt eine bürgerliche Verbindung unmöglich machten. Eine unmenschliche Arbeitswut und zahlreiche Alkohol-Exzesse kennzeichneten den Lebenswandel desKünstlers, der 1901 mit nur 36 Jahren starb.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen