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Jetzt in Bremen: Das Ende der Welt

Springers Konzernstrategen wickeln den Bremer Lokalteil der Welt ab. Angeblich ist nicht die Auflage schuld, sondern das „katastrophale“ Anzeigengeschäft. Die Wirtschaft trägt Trauer, wollte das Blatt aber auch nicht mit Werbung stützen

Time to say goodbye: Ab Montag wird der eigenständige Bremer Lokalteil der Tageszeitung Die Welt eingestellt. Damit geht der fünfjährige Versuch zu Ende, auf dem Bremer Zeitungsmarkt eine vierte Kraft neben Weser Kurier, Bild und taz zu etablieren. Die Welt erschien zuletzt täglich mit einer Bremer Seite sowie montags und donnerstags mit einem eigenständigen Lokalteil von sechs Seiten.

Es klang alles ganz harmlos, als die Bremer Redaktion vor drei Wochen zur gemeinsamen Sitzung mit Hamburger KollegInnen geladen wurde. Es ging aber nicht nur um die „Einführung eines neuen Redaktionssystems“, auf den Tisch kamen auch rigide Sparmaßnahmen: So werden die Hamburger Lokalredaktionen von Welt und Welt am Sonntag zusammengelegt. Ein Teil des Springer-Sparprogramms, der bis Ende des Jahres um zehn Prozent seiner bislang 14.000 Mitarbeiter schrumpfen will. Als die Bremer schon dachten, sie wären davon gekommen, legte der stellvertretende Verlagsgeschäftsführer Thomas Ehlers nach: „Bremen wird geschlossen.“ Tränen und Weltuntergangsstimmung bei den drei fest angestellten Redakteuren, zwei Planstellen waren ohnehin seit Monaten unbesetzt geblieben.

Immerhin, das letzte Wort war noch nicht gesprochen: In der vergangenen Woche kam Ehlers mit einer Abfindungsregelung auch für die fünf freien Mitarbeiter nach Bremen. Mit „freiwilligen“ Zahlungen will sich der Verlag offenbar Klagen vor dem Arbeitsgericht ersparen. Die Freien hatten über lange Zeit regelmäßig in verantwortlicher Position gearbeitet. Sie hätten sich womöglich nachträglich eine Festanstellung erstreiten können.

Offiziell gibt es dazu keine Auskunft. Die Bremer habenvon der Berliner Springer-Zentrale einen Maulkorb verpasst bekommen. Auch Pressesprecherin Carola Schmidt will keine konkreten Gründe für den Rückzug aus Bremen nennen. Man müsse das „im Zusammenhang“ sehen, der Konzern wolle „Synergiepotenziale im gesamten Haus“ erschließen. Zahlen über die Auflagenentwicklung in Bremen gibt sie nicht preis. Die wenigen verfügbaren Daten sprechen für die Arbeit der Bremer Redaktion. 1998, ein Jahr nach Einführung des Lokalteils, verkaufte die Welt im Land Bremen rund 2.800 Exemplare, im Jahr 2000 waren es schon 1.000 mehr. Im Umland dürften noch einmal genauso viele Leser wohnen, die ebenfalls den Bremer Lokalteil bekamen. Im zweiten Quartal 2002 wurde die Welt Bremen durchschnittlich 8.567 Mal verkauft.

Aber die Auflage stand bei der Welt-Leitung, die bundesweit fast acht Prozent weniger Zeitungen verkaufte als im vergangenen Jahr, auch nicht im Vordergrund: Die Anzeigenumsätze sollen für die Bremer Ausgabe „katastrophal“ gewesen sein. Damit steht die Welt nicht allein: Beim Weser Kurier soll das Anzeigenaufkommen im 1. Halbjahr 2002 um über 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft sein.

Immerhin: Die Kundschaft ist betroffen. Die Handelskammer verliert quasi ihr Zentralorgan. Sprecher Stefan Offenhäuser „wundert die unternehmerische Entscheidung – damit ist ja ein unglaublicher Imageverlust verbunden.“ Hauptgeschäftsführer Matthias Fonger hat sich an den Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner gewandt, um zu erreichen, dass ein Mindestmaß an Bremen-Berichterstattung in der Welt gewährleistet bleibt. Düpiert wurde Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU). Weil er die „sachkundige Wirtschaftsberichterstattung“ der Bremer Welt schätzt, hat er vor zwei Wochen ebenfalls nach Berlin geschrieben, bislang allerdings keine Antwort bekommen. Unmut über die Einstellung des Lokalteils regt sich auch in der SPD: Der Bundestagsabgeordnete Volker Kröning nennt den Schritt einen „Fehler der Zentrale“, da die Nordwestregion im Auftrieb sei. „Springer wird es noch bereuen, die mühselig aufgebaute Lokalredaktion zu zerschlagen“, prophezeit der Finanzexperte. Und in Richtung Handelskammer: „Die hätten mal ihre Mitglieder darauf aufmerksam machen können, dass eine Zeitung auch Anzeigen braucht.“

Auf eine Anzeige meinte die Welt in der letzten eigenständigen Bremen-Ausgabe verzichten zu können: Das Angebot der taz an lokalpolitisch intessierte Welt-LeserInnen (siehe unten) durfte auf Weisung aus Berlin nicht erscheinen.

Dort ist man sogar der Meinung, die Bremer Ausgabe werde gar nicht eingestellt: „Wir werden weiterhin täglich mit einer Bremer Seite erscheinen“, sagt Carola Schmidt. Wie das gehen soll? „Ich sagte doch: Wir wollen Synergieeffekte nutzen.“ Auf deutsch: Die Seite wird in Hamburg produziert und hauptsächlich mit Agenturtexten bestückt. Noch-Redaktionsleiter Florian Hanauer wird ab Montag zum Bremen-Korrespondent degradiert: Er soll eigene Artikel zuliefern. Und: Auch der eine oder andere freie Autor wird noch zu Wort kommen. Die Höhe des dafür zur Verfügung stehenden Etats ist allerdings zwei Tage vor dem Neustart noch unklar. Jan Kahlcke

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