Rauchzeichen im Wahlkampf

Zehntausende fordern mit der Hanfparade die Legalisierung von Cannabis. Mittendrin sucht Ströbele kiffende Wähler. Die Hanffans sind zwar enttäuscht von den Grünen, sehen aber keine Alternative

von JAN ROSENKRANZ

Mit ordentlich Verspätung setzt sich der Zug in Bewegung. Kiffersyndrom. Samstagnachmittag, Hanfparade, zum sechsten Mal. Motto: „Für Hanfgebrauch! Gegen Hanfmi§§brauch! Aufklärung statt Verbote!“ Mehr Teilnehmer als im vergangenen Jahr, zählen die Veranstalter. Damals waren es rund 30.000. Auf exakt 7.800 Demonstranten kommt die Polizei nach reichlicher Überlegung am Sonntag. Sicher ist nur eins: Die Mitziehenden sind meist jung, einige tragen Sträflingskleidung, viele Dreadlocks.

Vom ersten Wagen dröhnen Ragga-Beats über den Potsdamer Platz. Auf dem Dach zappelt ein schwarzer MC und ruft: „We smoke Ganja“ und „Say yeah, Ganjaman!“ Hans-Christian Ströbele (Grüne) sieht nicht aus wie ein Ganjaman. Aber er lächelt gewinnend in die Menge, denn er will wieder in den Bundestag – per Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg-Ost. Es soll viele Kiffer dort geben.

Junge Menschen mit Klemmmappen sammeln Unterschriften für die Aktion „Zeig Dich!“. Über 10.000 haben sich bereits selbst des Cannabiskonsums bezichtigt. Wenn es 100.000 werden, wollen sie die Zettel den Justizbehörden übergeben, „um zu demonstrieren, dass wir unvorstellbar viele sind“.

Vor der CDU-Parteizentrale stoppt der Zug. Merkel und Stoiber lächeln sanft vom Riesenplakat. Man lässt sich nieder, um einen frischen Joint zu bauen oder verrenkt die Beine beim Kicken mit dem Miniball. Kifferseuche Haggiesack. Ströbele greift vor dem Wagen der „Grünen Jugend“ zum Mikrofon. Auf das Riesenposter deutend sagt Ströbele: „Wir wollen mal versuchen, den beiden da oben zu erklären, was Hanf ist.“ Vorher berichtet er aber noch, dass die Polizei zu Beginn der Demo 60 vom Biobauern frischgeschnittene Naturhanfpflanzen beschlagnahmt hat. Und dass er sich persönlich für die Freilassung des Hanfes eingesetzt hat. Einige johlen. Dann erzählt er, wie nützlich Hanf sei und dass man das schon an seiner Hose sehen könne und wettert gegen bayerische Politiker, die sich sogar frei nehmen, um zum Oktoberfest zu fahren, „dem größten Drogenfest der Welt“. Der Auftritt kommt gut an.

Am Ku’damm trifft der „Legalize it“-Zug auf die Reste der Kaufrauschenden und mündet am Breitscheidplatz in ein Straßenfest. Vor der Gedächtniskirche haben die Veranstalter eine „Speaker’s Corner“ errichtet. „Wenn die Legalisierung endlich erlaubt wäre, müsste ich mein Hasch nicht mehr beim Dealer kaufen“, ruft ein schmächtiger Junge ins Mikrofon. Ein anderer fordert die Freigabe aller Drogen. Dann beginnt auf der großen Bühne das Hauptprogramm.

„Weg mit dem Hanfverbot – das hat Ströbele hier schon 1998 gefordert. Es war Wahlkampf“, sagt Steffen Geyer vom Bündnis Hanfparade e. V. „Sie haben uns vier scheißelange Jahre verarscht“, schimpft er. Dennoch werden viele den Wortbrecher wieder wählen, weil die Alternative Stoiber heißt. Und „Stoiber heißt Beckstein. Und Beckstein heißt Knast für Kiffen“, schreit Geyer wütend in die grölende Menge. Eine Frau vom Verein zur Förderung hedonistischer Lebenskultur fordert: „Nieder mit der Doppelmoral!“ Dann kommt Ströbele noch mal zu Wort: „Ich kann euch nicht versprechen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode Hanf legalisieren. Das habe ich auch früher nicht.“ Weil er so natürlich nicht abtreten kann, fordert er noch Straffreiheit für Heimgärtner und Coffeeshops auch in Berlin. Das kommt wieder gut an.

Der PDS-Abgeordnete Freke Over ruft dem „lieben Hans-Christian“ nach, es sei ja schön, dass die Grünen im Parteiprogramm die Legalisierung fordern, aber mit Gerhard Schröder sei das nicht zu machen. „Der hat Angst hat vor der Bild-Zeitung.“

Danach spielt die Band Mutabor. Einige hüpfen und tanzen, andere sitzen und kiffen. Angeblich hat es eine Absprache zwischen Veranstalter und Polizei gegeben, dass die Beamten sich nur auf Dealer konzentrieren. So werden laut Polizei im Laufe der Parade gerade mal acht Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz festgestellt. Es habe aber auch einen „besonders unschönen Vorfall gegeben: eine Schmiererei am Bundesverteidigungsministerium“. Jemand hat ein Peacezeichen drangesprüht. Ansonsten bleibt alles friedlich wie in den vergangenen Jahren.