Blake schwärmt von der Niederlage

Wie im Vorjahr treffen der australische Titelverteidiger Lleyton Hewitt und der Amerikaner James Blake bei den US Open aufeinander. Wieder heißt der Sieger Hewitt. Und dennoch ist diesmal alles anders: Die beiden vertragen sich

NEW YORK taz ■ Einen Abend wie diesen gab es noch nie. Eine Night Session bei den US Open, normalerweise das ultimative Vergnügen der New Yorker Tennisfans – und ausschließlich Frauen auf dem Centre Court. Zuerst Martina Hingis, die in zwei Sätzen gegen Amanda Coetzer gewann, dann die Amerikanerinnen Jennifer Capriati und Meghann Shaughnessy, und zum bunten Schluss, als es auf Mitternacht zuging und der kalte Wind durchs Stadion pfiff, zum Aufwärmen ein Doppel mit Hingis und Anna Kurnikowa im kurzen Hemd. Wer es immer noch nicht begriffen hat, der weiß es nun: Wo die Frauen spielen, da spielt die Musik – oder vielleicht doch nicht?

Naja, man kann die Geschichte auch anders betrachten und behaupten, dass diese drei Begegnungen zusammen nicht halb so viel zu bieten hatten wie ein einziges Spiel der Männer ein paar Stunden zuvor. Wieder, wie vor einem Jahr, gewann Lleyton Hewitt, der Titelverteidiger, in fünf Sätzen gegen den Amerikaner James Blake. Aber im Gegensatz zu damals, als vor allem von Äußerlichkeiten die Rede war, ging es diesmal um Tennis und nur um Tennis – und es war ein wunderbares Spiel. „Wir haben beide bis zum Ende alles gegeben“, meinte Blake. „Und was mir besonders gefällt: So, wie wir uns benommen haben, kann jedes Kind sagen, einer von den beiden wär’ ich gern. Das ist gut fürs Tennis, und ich bin froh, dass ich dabei war.“ Das klingt vielleicht ein wenig schwärmerisch, aber der Mann hatte völlig Recht.

Sie haben sich die Bälle um die Ohren geschlagen, dass es eine Freude war, sie haben einander applaudiert, und am Ende stellte sich wieder mal heraus, dass das Wort Druck für Hewitt offensichtlich nur in der positiven Version existiert. Je größer der Druck, desto besser sein Spiel. Zu gut am Ende für Blake, der allerdings selbst als Verlierer noch erste Klasse war. Beim Handschlag am Netz entschuldigte er sich beim Australier für einen Zuschauer, der gerufen hatte: „Lass nicht zu, James, dass er dich schlägt. Er ist ein Rassist.“ Hewitt meinte hinterher, das habe er nicht gehört, aber das sei auch weiter kein Problem; es gebe halt immer irgendwelche Verrückte auf den Rängen.

In New York gibt es davon ein paar mehr als anderswo, aber deshalb wird es ja auch so schnell nicht langweilig bei diesem Turnier. Die eindrucksvollsten Sieger bisher, da nun die zweite Woche der US Open 2002 beginnt: Andre Agassi, der in drei Begegnungen noch keinen Satz und insgesamt nur 16 Spiele abgegeben hat; Roger Federer, der allmählich wieder in Form kommt nach schwierigen Wochen. Und natürlich Hewitt, der von Beginn an als Favorit gehandelt wurde und der noch keinen Hinweis gegeben hat, dass daran etwas falsch sein könnte. Ob Tommy Haas dazu gehören würde, hing von der Partie der dritten Runde gegen den Schweden Thomas Enqvist ab, die bei Redaktionsschluss noch nicht beendet war. Hoffnungen gab es, denn beim Sieg zuvor gegen Karol Kucera spielte er überzeugend – und erstmals seit Wochen ohne Schmerzen im Arm.

Einen weiteren Abend der Frauen im Arthur-Ashe-Stadion wird es in der zweiten Woche garantiert nicht mehr geben, aber mit Beginn des Achtelfinales dürfte in deren Abteilung zumindest die Zeit der zahlreichen 40-Minuten-Spiele vorbei sein. Ob das allerdings auch auf Venus und Serena Williams zutrifft? Die beiden Schwestern waren bisher nicht zu erschüttern. Wie es dagegen um die Form der Herausforderinnen bestellt ist, lässt sich noch nicht verbindlich sagen: Jennifer Capriati gewinnt bisher schnörkellos, desgleichen Lindsay Davenport; und Martina Hingis wirkt immer noch ein wenig verunsichert nach ihrer langen Pause. Mit nervösem Blick hangelt sie sich von Sieg zu Sieg – egal ob am Tag oder am Abend der Frauen. DORIS HENKEL