: Gesetz der Zeit
Freispruch für Mobbing-Experten: Richter verkürzt Beweisaufnahme, weil Fleissner sowieso unschuldig sei
Der Mobbing-Experte Alfred Fleissner, der sich wegen Beleidigung vor dem Hamburger Amtsgericht verantworten musste, ist gestern freigesprochen worden. Sein Anwalt Dieter Struck freut sich: Die Entscheidung bringe zum Ausdruck, „dass es zulässig sein kann, bei der Vertretung von Mobbingopfern auch mal eine deutlichere Sprache zu sprechen“. Fleissner war vorgeworfen worden, er habe gesagt, der Chef der Oberfinanzdirektion agiere „vielleicht als oberster Psychoterrorist“.
Der Experte betreut als Vorstandsmitglied des Mobbinghilfe-Vereins KLIMA seit Jahren eine krank gemobbte Zöllnerin. Die Äußerung soll in einem Telefonat mit einem Personalsachbearbeiter der Oberfinanzdirektion gefalle sein. Der angeblich gescholtene Chef erstattete Anzeige wegen Beleidigung. Fleissner bestreitet den Vorwurf. Fall er überhaupt von Psychoterror gesprochen habe, dann habe er den Begriff als Synonym für Mobbing benutzt und nicht, weil er jemanden beleidigen wollte.
Obwohl die Sachlage auch am dritten Verhandlungstag unklar blieb und von vielen Zeugen erst zwei gehört worden waren, brach der Richter mit der Zustimmung von Verteidigung und Staatsanwaltschaft die Beweisaufnahme ab. Dabei handelte er allerdings vor allem nach dem Gesetz der „Ressource Zeit“: Hätte die Beweisaufnahme ergeben, dass Fleissner den Finanzdirektor nicht beleidigt hat, wäre er freigesprochen worden. Wäre das Gegenteil herausgekommen, ebenfalls. Denn, so der Richter, dann hätte er in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gehandelt.
Die Staatsanwältin hatte mehrfach angekündigt, einen Freispruch keinesfalls zu akzeptieren. Ihrer Ansicht nach hat der Personalsachbearbeiter die Anklage bestätigt. Tatsächlich hatte sich der Beamte aber bei seiner Aussage in Widersprüche verstrickt. Eine geladene Arzthelferin berichtete zudem, sie sei von ihm unter Druck gesetzt worden, Internes über die Zöllnerin auszuplaudern. SANDRA WILSDORF
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