: Das Spiel um Bildung ist eröffnet
Bei der weltweiten Liberalisierung von Dienstleistungen geht es auch um Bildung. Manche meinen, die EU habe mit dem „Subventionsvorbehalt“ ihre Schulen und Hochschulen geschützt. Welthandelsexperten finden das naiv: Europa könnte die Herrschaft über seine Bildungskultur einbüßen
von CHRISTIAN FÜLLER
Da musste Tanja S. schlucken. Die Studentin aus Hannover wollte in die Glitzerwelt der MBAs eintauchen. Sich an den renommierten Business Schools von Fontainebleau, Harvard oder Bocconi bewerben. Und was wollte man als Erstes von ihr wissen? Wie die Nummer ihrer Kreditkarte lautet. Tanja beendete das Gespräch mit der Münchener Teststelle konsterniert und rief ihren Vater zu Hilfe.
190 Dollar buchte das Educational Testing Service Network (ETS) schließlich bei Tanjas Papa ab. Die US-amerikanische Firma prüft weltweit die Bewerber für die begehrten Master-of-Business-Administration-Programme. Auch viele deutsche MBA-Studiengänge lassen die Studis inzwischen über die Hürde des „Graduate Management Admission Test“ springen, ehe sie die Bewerber überhaupt in Haus einladen. Geprüft wird in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München. Deutschland gehört bei ETS zur Prüfregion 12 – „Europe, New Independent States“.
Für Ingrid Lohmann von der Universität Hamburg ist das ein klarer Fall von Zurichtung. Die deutsche Bildungslandschaft, so die These der Erziehungswissenschaftlerin, wird gerade für den Weltmarkt zugerichtet. „Mittlerweile ist absehbar, dass am Ende dieser neoliberalistischen Transformation öffentliche Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen nicht mehr existieren werden“, schreibt Lohmann. „Die Zugänge zum Wissen werden dann – selbstredend – kostenpflichtig und so teuer sein, wie es ‚der Markt‘ zulässt.“ Ohne Kreditkarte kein Bildungerlebnis mehr.
Lohmann macht die Politik der OECD und der Welthandelsorganisation (WTO) für „die Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildung“ verantwortlich. Noch steht die Wissenschaftlerin damit ziemlich allein – aber unter StudentInnen, Gewerkschaftern und Intellektuellen wächst die Globalisierungskritik, die Schulen und Hochschulen in den Mittelpunkt rückt. Denn hinter verschlossenen Türen wird bei der WTO derzeit über das so genannte GATS-Abkommen verhandelt. Es sieht vor, alle Arten von Dienstleistungen zu einer weltweit handelbaren Ware zu erklären – darunter auch Bildung.
Es gibt ja nicht nur teure amerikanischen Vortests für deutsche MBA-Studiengänge. Längst rankt sich darum ein lukratives Testvorbereitungsgewerbe. „Der Markt ist sehr unübersichtlich geworden“, locken die MBA-Trainer. Sie stellen eine „erfolgreiche Bewerbung bei den renommierten Universitäten“ in Aussicht – gegen Bares.
Auch die so genannten Akkreditierungsagenturen sind ein Beispiel. Sie werden hierzulande geschaffen, um die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge zu begutachten. Während die deutschen Akkreditierer aber händeringend nach Anmeldungen suchen, haben ihre amerikanischen Kollegen längst ein Geschäft daraus gemacht – weltweit. Eine deutsche Uni hat sich von einer US-Zertifizierungsstelle ein Prädikat geholt. Kosten: rund 100.000 Euro.
„Wir sind weit weg von einer öffentlichen Diskussion der Bildungskapitel des GATS-Abkommens“, moniert Gerd Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, „dabei stecken wir mittendrin.“ Selbst Bildungspolitiker wissen oft nicht Bescheid. Sie ahnen kaum, wie schnell die Welthandelsorganisation aus dem europäischen Kulturgut Bildung die angelsächsische Ware Humankapital machen könnte.
Als die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) jüngst die Topleute der deutschen Bildungsorganisationen zu einem Gedankenaustausch zusammenholte, erlebte sie eine böse Überraschung. Die vermeintlichen Experten wussten nicht recht, was die weltweite Handelsrunde über Dienstleistungen GATS eigentlich mit Bildung zu tun habe. „Die hatten von dem Thema so gut wie keine Ahnung“, erinnert sich Christoph Scherrer, einer der wenigen GATS-Kenner, die es in Deutschland gibt. Scherrer ist Ökonomie-Professor an der Gesamthochschule Kassel. Er findet: „Das Spiel ist eröffnet.“
Die Ursachen, warum GATS den öffentlichen Bildungseinrichtungen Probleme bereiten könnte, lassen sich mit Ahnungslosigkeit, Unzuständigkeit und Kompromiss beschreiben. Bei den Welthandelsrunden, deren nächste im Jahr 2003 ansteht, sitzen nämlich weder Lehrer noch Professoren noch Kultusbeamte am Tisch, sondern Handelsvertreter. Denen ist der momentan heftige Streit, ob Schule und Hochschule eine öffentliche Aufgabe sei, herzlich egal. Bildung, so sagt Birger Hendriks vom schleswig-holsteinischen Kultusministerium vorsichtig, „ist im internationalen Bereich auch ein wirtschaftliches Gut“. Und so wird damit auch umgegangen.
Kommen die GATS-Verhandlungen in die heiße Phase, könnte schnell etwa ein Tausch von Freihandelsrechten aus ganz verschiedenen Branchen einsetzen. „Da wird dann für ein bisschen Bildung mehr Chemie eingesetzt“, befürchte Heiner Fechner vom freien Zusammenschluss der Studierendenschaften.
Die Crux liegt in der Komplexität des GATS-Prozesses, mit dem sich – so die Lesart der WTO – zielgenau der Handel mit Dienstleistungen liberalisieren lasse. Es gibt allein für Bildung fünf Bereiche (Kindergarten bis Erwachsenenbildung), die sich wiederum in vier „Erbringungsarten“ vom E-Learning bis zu Gastprofessoren gliedern. Jeder Verhandlungsteilnehmer kann nun anbieten, wo er die wichtigsten Grundsätze von GATS erfüllen will: Die Öffnung des Marktes und die Gleichbehandlung von In- und Ausländern.
Die EU, die für Deutschland die Verhandlungen führt, ist bereits 1994 Verpflichtungen eingegangen. Sie hat sich bereit erklärt, über die Liberalisierung von Kindergarten, Schule und Hochschule zu verhandeln. Allerdings haben die Europäer sich einen sehr wichtigen Vorbehalt eintragen lassen: ihre öffentlichen Subventionen. Das heißt: Die Staaten des alten Kontinents beharren darauf, ihre elementaren Lern- und Studienorte als öffentliche Einrichtungen zu subventionieren.
Alles klar, meint nun mancher, das ist ein Generalvorbehalt, an dem niemand vorbeikommt – auch die Amerikaner nicht. GATS-Experte Scherrer ist da skeptisch: „Es stellt sich die Frage, ob der Subventionsvorbehalt der EU die Verhandlungen überlebt.“ Wenn er nicht überlebt, brechen andere Zeiten an. Es wird den Kulturraum Bildung und seine bisherige Finanzierung durcheinander wirbeln. Denn ohne Subventionsvorbehalt hat jeder private ausländische Bildungsanbieter das gleiche Anrecht auf öffentliche Subventionen hierzulande – und die machen einen gewaltigen Markt aus. Weit über 100 Milliarden Euro geben allein Bund und Länder für Bildung und Wissenschaft aus.
Wie begehrt der Markt ist, zeigen die Verhandlungsbegehren der GATS-Konkurrenten. Die USA, Australien und Neuseeland haben die EU aufgefordert, jene Bildungssubventionen offen zu legen, auf die sie als Wettbewerber Zugriff haben. So will es jedenfalls Ingrid Lohmann aus der Verhandlungsrunde wissen.
Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin zählt zu den schärfsten Kritikerinnen der Bildungsglobalisierung. Sie verweist auf die Entwicklung der Studienausgaben in den USA, wo sich die Haushalte für den Collegebesuch ihrer Kinder immer stärker verschulden.
Für Ingrid Lohmann ist das ein falsches Vorbild einer irreversiblen Entwicklung, die auch in Deutschland bevorsteht: „Die Nationalstaaten werden ihre Standards für Bildung nicht mehr selbst festlegen können.“
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