peter ahrens über Provinz: Wie Schröder freie Flüsse schützt
Früher konnte der Ostfriese an der schönen, friedlichen Gandersumer Ems seinen Frust herausschreien – früher
Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen ein politrichternder Desperado im Bundestag kauende Mundbewegungen machte, aber kein Ton zu hören war, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. An den hageren, schwarz gekleideten Mann in der Kirche, der nur die Lippen bewegend im Schulgottesdienst hin und her wanderte, ein Buch in der Hand lautlos deklamierend. Er hieß bei uns nur „der Krimileser“, weil wir uns unter so packender Lektüre nichts anderes vorstellen konnten als Wolfgang Eckes Perry Clifton oder Alfred Weidenmanns Gepäckschein 666. Der Jugendkrimi stellte sich bei näherem Besehen jedoch als ordinäres Gotteslob heraus, und das einzig Mysteriöse darin waren geheimnisvolle Verszeilen wie „Alles, was dich preisen kann, Cherubim und Seraphinen“. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn.
Am kommenden Freitag werden sie es im katholischen Emsland singen, das Lied von den Seraphinen, und wahrscheinlich werden auch die Glocken läuten. Dann werden sich der Firmenchef und der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Seiters und der SPD-Abgeordnete Reinhold Robbe in Schale werfen. Sie werden sich aufmachen in das kleine Dorf Gandersum, denn es gibt etwas zu feiern. Gandersum hat 90 Einwohner, Gandersum liegt direkt an der Ems, das Dorf hat eine Kirche, die steht schon ganz lange dort, und das Dorf hat ein Sperrwerk, das ist ganz neu.
Am Freitag kommt der Bundeskanzler nach Gandersum und der Ministerpräsident von Niedersachsen, alle Herren von der Industrie- und Handelskammer werden da sein, sogar das Fernsehen kommt nach Gandersum. Der Bundeskanzler wird eine Rede halten, in der schöne Worte vorkommen wie Wettbewerbsfähigkeit oder Standorttreue, vielleicht auch Wachstumsmotor und irgendetwas von Dynamik. Ganz bestimmt wird der Bundeskanzler auch sagen, wie wichtig es ist, dass in einer strukturschwachen Region eine Werft ist, die für Arbeitsplätze sorgt und unverzichtbar ist für tausende von Familien, denen sie Lohn und Brot gibt. Und sie werden anstoßen auf die vielen schönen, großen Schiffe, die die Papenburger Meyer-Werft die Ems hinab in die Nordsee bringt. Und darauf, dass dank dieses Sperrwerks die Schiffe jetzt noch größer werden dürfen.
Und ein kleines Häuflein Leute wird am Freitag am Rand stehen und ein paar Transparente hochhalten. Die werden aber nicht groß beachtet. Auf den Transparenten wird darauf aufmerksam gemacht, dass das Sperrwerk fast 40 Millionen Euro teurer wird als geplant. Da steht vielleicht drauf, dass das Sperrwerk von den Steuerzahlern Niedersachsens und des Bundes bezahlt wird, obwohl es nur einer Firma, der Meyer-Werft, nützt. Weil der damalige niedersächsische Ministerpräsident, der hieß Schröder, in Kumpanei mit Firmenchef Meyer beschlossen hat, dass das Ding gebaut wird, damit die Werft auf jeden Fall in Niedersachsen bleibt. Und weil Meyer selbst das nicht bezahlen wollte, wurde der Sperrwerksbau kurzerhand zur Küstenschutzmaßnahme erklärt, die von der öffentlichen Hand bezahlt wird. Und alle Heimatzeitungen haben das artig aufgeschrieben.
An diesem Freitag werden ein paar unbeachtete grüne Protestler, ein paar Emsfischer und ein paar Gandersumer darauf hinweisen, dass die Ems gerade an der Stelle, an der das Sperrwerk jetzt steht, vorher ganz besonders schön und ganz besonders friedlich war. Man konnte abends nach der Arbeit ans Ufer gehen, dem Sturm zugucken und, wer es nötig hatte, seinen ostfriesischen Frust gegen den Wind anschreien. Da war die Ems schon vorher ein paar Mal ausgebaggert worden. Weil Meyer es so wollte, werden die Naturschützer sagen. Die paar Grünen, die deswegen wiederholt Morddrohungen bekamen, weil sie gegen den Bau waren und damit „Arbeitsplatzkiller“ hießen, und die in Papenburg nicht mehr in ein paar Kneipen gelassen wurden, weil draußen im Schaufenster Schilder hingen: Kein Eintritt für Grüne. In Papenburg, wo unter Initiative der IG Metall, der SPD und der CDU eine Großdemonstration für die Meyer-Werft und das Sperrwerk organisiert wurde und alle Geschäftsinhaber mit sanftem Druck dazu gebracht wurden, während der Zeit der Kundgebung ihre Läden zu schließen. Und der katholische und der evangelische Pastor haben an diesem Tag die Glocken geläutet, und wer in Papenburg grün war, blieb an diesem Tag besser zu Hause.
Das ist alles Ärger aus der Vergangenheit. Am Freitag wird das Sperrwerk von Gerhard Schröder eingeweiht, und der Heimatverein Wiefelstede bietet bereits Busfahrten an zur Besichtigung des Emssperrwerks. Anschließend geht es noch zum Biermuseum nach Bagband.
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