Nahe gehende Vergangenheit

Momentaufnahmen in einem Hamburger Tonstudio: Eine Audiodoku des Hoffmann und Campe Verlags zum Nationalsozialismus richtet sich an Guido Knopp aus – will aber die Revisionismen seiner Fernsehserie richtig stellen und verklärende Aussagen kommentieren

„Zu energisch, etwas nuancierter?“ Lena Stolze sucht den Tonfall für das kaum Aussprechbare, dem Umkippen vom Banalen ins Barbarische. Die Schauspielerin rezitiert in einem Hamburger Tonstudio eine Parole aus der nationalsozialistischen Erziehung: „Es ist nicht nötig, dass du lebst, wohl aber, dass du deine Pflicht gegenüber dem Volk erfüllst.“

Seit Tagen wird unter der Regie von Wolfgang Stockmann und Jens Wawrczeck in verschiedenen Tonstudios eine „Audiodokumentation zum Nationalsozialismus“ produziert. Die Doku-Hörspielserie mit dem Titel Zwölf Jahre – Hitler und sein Reich basiert auf Guido Knopps Fernseh-Produktionen zum Thema Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus. „Die acht CDs, mit einer Spieldauer von etwa 450 Minuten“, betont Gabriele Gierz, Produktionsleiterin beim Verlag Hoffmann und Campe, „ist keine reine Nacherzählung der ZDF-Filme.“ Stattdessen sei durch eine Mischung aus gespielten Szenen, O-Tönen und fiktiv-authentischen Zeitzeugen-Berichten die Knoppsche Sichtweise auf die zwölf Jahre der „Diktatur Hitlers von den Anfängen bis zum Zusammenbruch“ erweitert.

Stockmann, der das Material zu einer Audioproduktion umgestaltete, ist sich der Kritik wohl bewusst, die an der Historisierung durch Knopp, den Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, geübt wurde. So sollen Originalberichte, die den Führer idealisieren und NS-Verbrechen relativieren, richtig gestellt, sowie Zeitzeugenaussagen, die mehr verklären als erklären, per Kommentar hinterfragt werden.

Um die Gefahr der Boulevarisierung von Auschwitz weiß auch Stolze, die für ihre Hauptrolle im Film Die Weiße Rose mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet wurde. Ein Zerrbild von Hitler als faszinierende Bestie und den Deutschen als faszinierte Opfer soll mit der Produktion, an der auch Ulrich Tukur mitwirkt, ebenso nicht entstehen.

Die sensible Annäherung bei der Aufnahme ist vielleicht nicht nur eine positive Momentaufnahme von der Gesamtproduktion. Wie notwendig weitere Methoden bei der Vermittlung der nicht vergehenden Vergangenheit sind, lassen neue Umfragen erahnen. Trotz der von Martin Walser beklagten „Dauerpräsentation unserer Schande“ offenbart eine Studie von 2000, dass 86 Prozent der Haupt- und Realschüler und 43 Prozent der Abiturienten nichts von der Judenvernichtung wissen. Anfang Oktober erscheint die erste Episode der dreiteiligen Gesamtproduktion. Andreas Speit