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off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

In ihrer Autobiografie beschreibt die Schauspielerin Fay Wray, wie sie 1935 bei einem Spaziergang durch den Londoner Hyde-Park Zeugin einer fragwürdigen Erziehungsmaßnahme wurde. Eine Frau zerrte einen heulenden, widerborstigen kleinen Jungen hinter sich her und brüllte ihn schließlich an: „Wenn du jetzt nicht artig bist, sage ich es Fay Wray, die dafür sorgt, dass King Kong dich holen kommt.“ Komisch, so Wray, habe sie das nicht gefunden. „King Kong“ ist Wrays Fluch: In einer rund drei Dekaden umspannenden Karriere drehte sie nahezu neunzig Filme in allen erdenklichen Genres, spielte immer wieder Theater und schrieb sogar ein Bühnenstück gemeinsam mit Sinclair Lewis. Doch von all ihren Aktivitäten gelangte nur der legendäre Monsterfilm so richtig zur Berühmtheit und verankerte die Aktrice im öffentlichen Bewusstsein als das blonde, panisch kreischende und zappelnde Objekt der Begierde eines Riesengorillas. Dabei ist die mittlerweile fast 95-jährige Schauspielerin (am 15. September hat sie Geburtstag) noch nicht einmal blond.

Doch die Berühmtheit traf Wray natürlich nicht unverdient: War sie doch das perfekteste weibliche Opfer der Kinogeschichte. Einerseits besaß die dunkelhaarige Schönheit eine außerordentlich feminine Ausstrahlung, die die Beschützerinstinkte ihrer männlichen Partner auf den Plan rief, andererseits strahlte sie eine Unnahbarkeit aus, die auf schierer Tugendhaftigkeit beruhte – was sie für schmierige Schurken und wahnsinnige Mörder nur umso attraktiver machte. In „King Kong“ wird Wray gleich in mehrfacher Hinsicht zum Opfer: In ihrer ersten Szene sieht man Ann Darrow aus Verzweiflung und Hunger einen Apfel stehlen – wie Millionen anderer Menschen ist auch sie als Arbeitslose von der großen Rezession jener Tage betroffen. Sie wird erwischt, und nur der Regisseur Denham kann sie vor weiteren Schwierigkeiten bewahren. Doch auch Denham nutzt ihre Lage skrupellos aus: Ohne zu zögern wird er sie für sein Abenteuer-Filmprojekt mit dem Riesenaffen in Gefahr bringen. An Bord des Schiffes, das die Ahnungslose nach Skull Island trägt, übt er zynischerweise schon einmal die entsprechend angsterfüllte Mimik und Gestik mit ihr ein. Nachdem Ann nunmehr von Eingeborenen geraubt und Kong als Opfergabe angedient wurde, entwickelt sich der Gorilla zu ihrem Peiniger und Beschützer gleichermaßen. Denn während Ann sich in eine Panik vor dem Untier hineinsteigert, kämpft Kong mit einem guten halben Dutzend Dinosauriern, die ihr weit Schlimmeres antun wollen, als nur einmal an ihrer Wäsche zu zupfen. Dass sich „King Kong“ nach fast siebzig Jahren noch immer eines regen Zuspruchs erfreut, liegt neben seinem filmhistorischen Wert als bedeutender Trickfilm auch an der unverhohlenen Zuneigung, die Kong für die junge Frau entwickelt: Wenn er am Ende von den Maschinengewehrsalven tödlich getroffen vom Empire State Building stürzt, nachdem er Ann Darrow zuvor ganz vorsichtig am Rande des Daches abgesetzt hat, dann ist Kong zum tragischen Helden geworden. Wray hat stets versucht, die erotischen Aspekte dieser bizarren Liebesgeschichte herunterzuspielen, doch der Film selbst weiß es besser: „It wasn’t the planes. It was beauty that killed the beast.“

„King Kong“: 8. 9. im Z-inema

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Ein selten zu sehender, ziemlich unbekannter und sehr interessanter Hitchcock-Film: „The Manxman“, der 1929 in England entstandene letzte Stummfilm des Meisters, ist ein spannendes Melodram um ein leichtfertig gegebenes Heiratsversprechen. Denn die impulsive Gastwirttochter Kate (Anny Ondra) ist eigentlich mit dem Fischer Pete liiert – doch bereits ihre erste Szene zeigt deutlich, dass ihre Liebe letztlich dessen Freund Philip, einem Anwalt, gehören wird: Gleichzeitig reicht Kate den beiden die Hand zur Begrüßung, doch ihr Blick ruht auf Philip. Später erfahren Kate und Philip von Petes vermeintlichem Tod und glauben, der Weg sei frei für ihre Liebe – aber Pete kehrt zurück und Kate hält ihr Versprechen. Doch das Baby stammt von Philip, und glücklich werden die drei mit diesem Arrangement nicht …

„The Manxman“: 8. 9. im Filmkunsthaus Babylon 1

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Da geht es in „Der unsichtbare Dritte“ schon erheblich komischer zu: In Hitchcocks Comedy-Thriller wird Cary Grant für einen nicht existenten Agenten gehalten, eine Eisblondine führt ihn an der Nase herum, James Mason will ihn ermorden, seine Mutti gängelt ihn – die Situationen, in die er gerät, werden immer irrwitziger und demütigender …

„North by Northwest“ (OmU): 7. 9., 9. 9. im Filmkunsthaus Babylon 1

LARS PENNING

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