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Wunder des Notenlesens

Zwei fulminante Brahmskonzerte der Deutschen Kammerphilharmonie beim Musikfest

Fest bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen: Zehn Jahre ist das Superorchester in Bremen, doch trotz kontinuierlicher Qualität keineswegs gesichert, sondern ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, die Zukunft in dieser Stadt, aus der das Orchester bei stets ausverkauften Häusern nicht mehr wegzudenken ist, dauerhaft zu fundieren. Das meint keineswegs nur die nervenaufreibende Suche nach Sponsoren, sondern auch die Innovativität, die nach den Gesetzen der Wirtschaft niemals stehen bleiben darf.

Und so zeichnet die Deutsche Kammerphilharmonie heute aus, dass jährlich ein oder zwei Projekte neu kreiert werden – meist im pädagogischen und kommunikativen Bereich. Während auf der Ebene der interpretatorischen Qualität mit ganz wenigen Ausnahmen kaum jemals Wünsche offen blieben, ist die Programmgestaltung nach und nach sehr traditionell geworden nach dem Motto: klassisch-romantische Sinfonie, klassisch-romantisches Solokonzert, gelegentlich ein bisschen zeitgenössische Musik drin. Aber die muss man schon mit der Lupe suchen.

Sei‘s drum, wenn das konkrete Ergebnis so überzeugend ist wie jetzt bei den beiden Festkonzerten innerhalb des Musikfestes: alle Sinfonien von Johannes Brahms. Schon vor Jahren hat Daniel Harding mit seiner Brahms-Auseinandersetzung begonnen, alle Sinfonien auch auf CD – die hinreißend sind – produziert, so dass jetzt, in seinem vorletzten Jahr bei der Deutschen Kammerphilharmonie, die beiden Konzerte so etwas waren wie ein Fazit. Und welches!

Es ist kaum übertrieben, dass beide Konzerte, mehr noch das zweite mit den Sinfonien drei und vier, wie von einem anderen Stern daherkamen. Harding und das Orchester wuchsen an diesem zweiten Abend über sich hinaus, spielten dermaßen am Anschlag des persönlichen Einsatzes, dass man sich fast wunderte, dass es kaum zu Patzern kam. Und bei einem Spiel derart an der Grenze noch so souverän zu bleiben, dass Transparenz, dramaturgische Disposition, Genauigkeit der Dynamik – außer gelegentlich zu laut – und der Artikulation stets gesichert bleiben, das ist schon ein kleines Wunder.

Brahms selbst war ein strenger Vertreter genauen Notenlesens im Sinne Leopold Mozarts, der 1756 sagte, dass die Interpretation in den „richtig gelesenen Noten schon vorhanden“ sei. „Wenn i c h etwas von Beethoven spiele, so habe ich demgegenüber gar keine Individualität“, hatte Brahms einst sehr radikal gesagt. Und Daniel Hardings in diesem Sinne sehr genaues „Notenlesen“, die untergründig brodelnden Vorspannungen, die er herausarbeitet, die mitreißenden Tempowechsel, die ihm gelingen, die Harmoniewechsel, die in ihren sorgfältigen, fast orgelartigen Registrierungen wirken wie Gänge durch Landschaften einschließlich echoartiger Raumwirkungen. Bleibt, dass die Spezifik der vier ungemein verschiedenen Sinfonien in ihrem je eigenen Ton glänzend erfasst waren: so die dramatische Beethovenauseinandersetzung der Ersten, die geradezu strahlende und apotheotische Gelassenheit der Zweiten, die stille Lyrik der Dritten und die strukturelle Klarheit der Vierten Sinfonie. Besonders erwähnenswert schließlich noch die grandios bewältigten Instrumentalsoli, die oft gnadenlos exponiert daher kommen. Ute Schalz-Laurenze

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