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„Unter Tito ging es uns besser“

Roma müssten eigentlich entsprechend ihrer Anzahl mit fünf Prozent an Posten im Staat beteiligt sein

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Sutka gilt als gefährliches Pflaster. Der Taxifahrer macht es nur unter der Bedingung, am Rande des Viertels umkehren zu dürfen. Tatsächlich rast er, kaum ist er dort angekommen, mit quietschenden Reifen davon: zurück ins Zentrum von Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens.

Robert Sabanovski hat die Szene mit einem milden Lächeln beobachtet. Fast entschuldigend erklärt der dickliche junge Mann, dass die meisten Mazedonier „mit uns Roma nichts zu tun haben wollen“. Der 19-Jährige ist solche Reaktionen gewohnt. „Leider machen sich die Leute nicht einmal die Mühe, uns und unsere Kultur kennen zu lernen.“

Am Rande des Stadtteils Sutka, in dem rund 50.000 Roma leben, sieht nichts nach Getto aus. Schmucke Häuser mit hübsch hergerichteten Vorgärten säumen die Straßen, so wie in anderen Vorstädten Skopjes auch. Die Menschen, die hier im Schatten der Gärten Kaffee trinken, haben allerdings eine dunklere Hautfarbe als anderswo. Die Sabanovskis bieten den starken türkischen Mokka an, wie er auf dem ganzen Balkan getrunken wird. Unter den Rosen im Garten des Hauses versammelt sich die Familie: die Mutter, die achtjährige Jennifer und einige Nachbarinnen, Cousinen der Familie. Mit dem Gast spricht die Familie Deutsch, untereinander Romanes, die Sprache der Roma.

Der Vater ist unterwegs. „Er sucht Arbeit, in Serbien.“ – „In Serbien?“ – „Ja, die brauchen um diese Zeit Erntehelfer.“ In Skopje habe ihr Mann als Rom keine Chancen, Arbeit zu finden. Zweimal in der Woche gehe sie bei Privatleuten putzen, erzählt die Frau, und Robert der Sohn, sei Schuhputzer im Zentrum der Stadt.

Vom Ausgang der Wahlen am 15. September erhoffen sich die Sabanovskis nicht allzu viel. Wie die meisten Angehörigen der ethnischen Minderheiten im Land misstrauen sie den Regierenden aus den nationalistischen Parteien der slawischen Mazedonier unter Ministerpräsident Ljubco Georgievski und ihrem Partner, der Demokratischen Partei der Albaner. Die hätten sich wie die Regierungen zuvor nur in die eigene Tasche gewirtschaftet, anstatt die wirtschaftliche Lage im Land zu verbessern. „Wir brauchen Politiker, die Arbeit schaffen und nicht ethnische Konflikte.“

Das Haus hätten sie nur bauen können, weil sie ab 1991, zu Beginn des Krieges in Jugoslawien, als Flüchtlinge in Deutschland lebten. „Vor fünf Jahren mussten wir hierher zurück. Unsere große Tochter hatte schon ihre Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen, aber wir wurden dennoch alle zurückgeschickt.“ Die kleine Jennifer bringt ihre Geburtsurkunde. Dort steht, dass sie 1994 in Ahlen, Westfalen, geboren ist. Darauf ist sie sehr stolz. „Jennifer schaut sich sehr oft ihre Geburtsurkunde an“, sagt ihre Mutter. „Sie möchte gerne zurück nach Ahlen, vor allem dann, wenn sie wieder mal von albanischen Kindern verprügelt wurde.“

Schneider Abdullah „Versace“ will einen Textilbetrieb aufbauen, aber es fehlt an Anfangskapital

Die angrenzenden Straßen sind von Albanern bewohnt. Und manchmal werfen die albanischen Kinder auf dem Heimweg von der Schule Steine gegen die Häuser der Roma. „Viele Albaner hassen uns Roma, obwohl wir doch auch Muslime sind“, beklagt sich Frau Sabanovski. Vorbei an der Schule, wo die Kinder der Roma und die der wenigen verbliebenen slawischen Mazedonier gemeinsam in mazedonischer Sprache unterrichtet werden, die albanischen Kinder indes eigene Klassen haben, geht es in Richtung Zentrum des Viertels. Hier werden die Häuser kleiner, die Menschen drängen sich in mit Wellblech bedeckten Bretterbuden.

Am Rande dieser Siedlung wohnt Demir Hussein, Direktor von Radio Atlanta. „Wir Roma leben wie in einem Sandwich, angefeindet und diskriminiert von zwei Seiten“, sagt der schlanke Fünfziger, der sich gern an die Zeit vor dem Krieg erinnert. „In der kommunistischen Zeit unter Tito ging es uns besser.“ Damals habe es staatliche Fernseh- und Radioprogramme in der Roma-Sprache gegeben. Er selbst habe beim staatlichen Fernsehen in Skopje gearbeitet, sei dann Ende der Achtzigerjahre in die DDR geschickt worden.

Nach sieben Jahren Aufenthalt in Deutschland kam er zurück. Und fand beim inzwischen staatlichen mazedonischen Fernsehen keinen Job mehr: „Arbeit gab es nur für slawische Mazedonier.“ So gründete er sein privates Radio, das lediglich von der bescheidenen Werbung im Roma-Getto lebt. „Wir senden alles, nur keine Politik.“ Demir Hussein möchte nicht anecken, muss aber aus Geldmangel trotzdem bald die Lizenz zurückgeben. Unterstützung aus den Hilfsgeldern der OSZE für Medien der Minderheiten bekommt er nicht.

Von einem Wohncontainerlager laufen die Abwässer den Abhang hinunter, vorbei an dem Platz, auf dem Kinder spielen. Ab und an fällt der Ball in den stinkenden Graben. Die Infektionsgefahr ist groß. „Aber niemand kümmert sich um die Kanalisation.“ Der Schneider Abdullah Servergan lebt mit seiner Familie in einem der Container. „Den haben Anfang der Neunzigerjahre die Deutschen aufgestellt, ein Projekt aus Nordrhein-Westfalen“, berichtet er. Roma sollte damals die Rückkehr nach Skopje schmackhaft gemacht werden.

Mit seiner Nähmaschine arbeitet Abdullah „Versace“, wie die Nachbarn ihn scherzhaft nennen, Tag und Nacht. Er schneidert Hosen und möchte gern einen Textilbetrieb aufbauen. Es fehle aber an Anfangskapital. Auch der 19-jährige Risto möchte vorwärts kommen. Erst vor vier Wochen ist die Familie aus Deutschland zurückgekehrt. Sie hatte auf ihrer Wanderung durch Europa auch in Frankreich gelebt. Risto spricht perfekt Deutsch, Französisch, die Roma-Sprache, Mazedonisch, Serbisch und Albanisch. Englisch hat er in Abendkursen in Deutschland gelernt. Im Getto kann er nichts hinzulernen; der Junge möchte gern einen Computerkurs besuchen. Aber selbst um mit dem Bus in die Stadt zu fahren, fehlt ihm das Geld.

Im Zentrum des Gettos bedecken Wahlplakate die Front eines großen Hauses. Auf ihnen ist Amdi Bajram, der einzige Abgeordnete der Roma im Parlament, abgebildet, dem auch das Haus gehört. Der gepanzerte BMW zeugt davon, dass Amdi Bajram nicht mehr zu den Ärmsten im Viertel gehört. Er soll inzwischen mehrere Häuser auch in anderen Stadtteilen Skopjes besitzen. „Er hat ja immer für die Regierungskoalition gestimmt“, sagt einer der Nachbarn und lächelt vielsagend.

„Jennifer möchte zurück nach Ahlen, vor allem wenn sie wieder von albanischen Kindern verprügelt wurde“

Die Opposition zu Bajram heißt „Liberal-Demokratische Partei“. In ihrem Hauptquartier ist man nicht gut auf Bajram zu sprechen. Der lasse jetzt eine Moschee bauen, von welchem Geld auch immer, statt sich um die wichtigsten Dinge im Viertel zu kümmern. „Wir brauchen eine bessere Wasserversorgung, eine funktionierende Kanalisation, wir brauchen Arbeit, wir brauchen eine bessere Selbstorganisation“, sagt Sabit Alijevski, Vizepräsident der Partei im Viertel. Seine Organisation definiere sich nicht ethnisch, sondern linkszentristisch. „Bei uns sind nicht nur Roma, sondern auch Albaner, Mazedonier und andere organisiert, wir sind also multiethnisch.“

Doch alle anwesenden Mitarbeiter im Hauptquartier sind Roma. Dass sich die Partei nicht ethnisch, sondern politisch definiert, sei sehr bewusst entschieden worden. „Wir streben den Bürgerstaat an, wir wollen, dass alle mazedonischen Staatsbürger wirklich gleichberechtigt sind.“ Die nationalistischen albanischen und mazedonischen Parteien verträten nur die Interessen ihrer ethnischen Gruppe. Und das sei schlecht. Die Albaner hätten mit Waffengewalt versucht, ihre Rechte durchzusetzen, das sei undemokratisch. Im Abkommen von Ohrid, mit dem vor einem Jahr der Krieg zwischen dem Staat und der albanischen UÇK vorerst beendet wurde, sei die Frage der Integration der Minderheiten nicht behandelt worden. „Mit vier bis fünf Prozent der Bevölkerung müssten wir Roma eigentlich mit einer entsprechenden Anzahl der Posten im Staat und den staatlichen Institutionen beteiligt sein“, meint Sabit Alijevski von der Liberal-Demokratischen Partei. Als erster Schritt sei es notwendig, die Lebensgrundlagen des Viertels nachhaltig zu verbessern. Die Infrastruktur müsse verbessert, der Zugang zu höherer Bildung ermöglicht werden. „Warum haben wir kein Kulturhaus?“ Im Bündnis mit den oppositionellen Sozialisten erhofft sich Alijevski, nach den Wahlen einige der Probleme lösen zu können.

Draußen ist es dunkel geworden. Eine Hochzeitsgesellschaft zieht mit Blasmusik und Tanz durch die Straßen des Viertels. „Sutka ist doch nicht so gefährlich, wie viele meinen, oder?“, sagt Robert Sabanovski zum Abschied.

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