: Hier kommt‘s: Der Sommer des Chamäleons
Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich heldenhaften Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Sechzehnter und letzter Teil
Was bisher geschah (heute erzählt von Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, Dichter): „Ein Schurke stahl das Schuppentier / Aus holder Ilsens Villa / Doch glücklich’ Fügung führt’ sie hin / Zu John mit seiner Zwilla // Gemeinsam reisten sie nach Sylt / Und tappten in die Falle / Die Meierdierks für sie gestellt / Der hat sie nicht mehr alle // O lichter Held! O holdes Weib! / Ich wähnte euch verloren / Doch Hühnerbrüh’ als geist’ges Bild / Hat Rettungsplan geboren.“
„Sechzehn Megahertz ist die Frequenz, auf der das Verderben sendet“, sagte ich zu Ilse und Gudrun, als ich die Zündkontakte in den Plastiksprengstoffklumpen steckte, der etwa so groß wie ein Nashorn war. Als symbolische Geste hatten wir aus dem Sprengstoff eine Chamäleonplastik im Maßstab 16:1 modelliert. Ich gabelte das Monstrum mit dem Stapler auf und stellte es neben den Stahlträgern ab, die die Decke des größten Gewölbes stützten.
Die weitere Vorgehensweise war klar: Ich hob die Ecken der beiden großen Terrarien mit dem Stapler an, während Ilse und Gudrun kleine Rollwagen darunter stellten, die wir im Lager gefunden hatten. Dann banden sie die nunmehr mobilen Terrarien an den Stapler, und der Chamäleon-Express war startbereit.
Die Frauen sprangen zu mir auf den Stapler, und wir fuhren ein letztes Mal durch die Katakomben in Richtung des großen Lastenaufzugs, der uns an die Oberfläche bringen sollte. „Was meinen Sie, John“, sagte Ilse zu mir, als wir auf den Aufzug warteten, „was hat Meierdierks mit dieser Anlage bezweckt? Wollte er seine Chamäleon-Armee in die Machtzentren der Welt schicken und alles dem Erdboden gleich machen?“
Die Türen des Aufzugs öffneten sich. Meierdierks und der lädierte Dr. Frank standen vor uns, die Sturmgewehre im Anschlag. „Genauso ist es, Gnädigste“, sagte Meierdierks spöttisch, „du kannst wohl Gedanken lesen? So, hier ist Endstation. Nehmt die Hände hoch und runter vom Stapler!“ Gedanken lesen, in der Tat, dachte ich. Ich spürte, wie Ilse neben mir dachte: Hätte ich Dr. Frank doch bloß erledigt. Und dann dachte sie: Vollgas! Mein Gipsfuß schnellte aufs Gaspedal und drückte es ans Bodenblech. Der Stapler tat einen gewaltigen Satz nach vorn, die Gabelzinken durchstießen die Kleidung der Schurken und nagelten sie an der Rückwand des Aufzugs fest, die Gewehre klapperten auf den Boden. Ich hob die Gabel ein wenig an und ließ die Schlingel in der Luft zappeln. „Einmal Erdgeschoss, bitte“, sagte ich zu Gudrun.
Der Aufzug endete oben in einem Schuppen weit außerhalb der Wohnsiedlung. Ich fuhr einfach durch die Holzwand und kümmerte mich nicht um die zappelnden und krakeelenden Gangster an der Gabel. Wir rauschten über die Wiese, in Richtung des Towers des Sylter Flughafens, der sich nebenan befand.
Zufälligerweise stand eine C-130 Herkules-Transportmaschine der Bundeswehr mit herabgelassener Frachtrampe auf dem Rollfeld. Ich walzte den Zaun nieder, lenkte den Chamäleon-Express quer übers Rollfeld und in den Bauch der Herkules. Dann drückte ich Gudrun mein Sturmgewehr in die Hand und bat sie, den Piloten zum Starten zu überreden.
„Ihr wisst nicht, was ihr tut!“, keifte Meierdierks. „Genau! Ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr euch angelegt habt!“, fügte Dr. Frank an. „Ilse“, sagte ich, „wären Sie wohl so freundlich, den Herren das Maul zu stopfen? Ich habe keine Lust, mir diesen schönen Moment durch ihr Gejammer versauen zu lassen.“
Während Ilse die beiden mit Spanngurten knebelte, setzte sich das Flugzeug in Bewegung und hob schließlich ab. Wir sahen durch die Fenster des Frachtraumes hinab auf die Insel des Grauens, die friedlich in der schimmernden Nordsee lag. Ich zückte die Fernsteuerung. „Wollen Sie oder soll ich?“, fragte ich Ilse. „Lassen Sie es uns gemeinsam tun, John“, erwiderte sie. Wir drückten beide den Knopf und sahen, wie Meierdierks Reihenhaus und der Schuppen auf der Wiese mehrere hundert Meter in die Luft geblasen wurden. Gewaltige Feuersäulen schossen aus den versteckten Lüftungsschächten. Die ganze Insel zitterte, erbebte und versank schließlich restlos im Meer. „Oops“, sagte ich. „Nicht schade drum“, murmelte Ilse.
Da hörten wir ein freudiges Fiepen und Miepen aus einem der Terrarien. „Rama!“, rief Ilse, die ihren kleinen Liebling sofort an der Stimme erkannte. Sie barg ihn aus seinem Gefängnis und drückte ihn weinend an ihre überaus voluminöse und wohlgeformte Brust. „Danke, John, danke, tausend Dank!“, schluchzte sie und fiel mir um den Hals. Dann küssten wir uns. Das Flugzeug zog ein paar Schleifen und malte ein rosafarbenes Herz an den strahlendblauen Himmel, während alle Chamäleons im Chor „Up Where We Belong“ sangen.
„So hat am Schluss gar triumphal / Gesiegt das ewig Gute / Und Meierdierks und Dr. Frank / Zieh’n eine blöde Schnute // Bald John und Ilse ward’ gebor’n / Ein Söhnchen namens Ole / Und die Moral von der Geschicht’: / Bin jung und brauche Kohle!“
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