jenny zylka über Sex & Lügen: Wenn- und Aberglaube
Es gibt Leute, die legen ihre Hüte nicht auf Betten, auf denen schwarze Katzen unter Leitern nach links gehen …
Wenn man die Finger gerade nach vorne streckt, als ob man eine Faust ballen wollte, aber auf halbem Weg die Lust verloren hat, dann kann man anhand der Faltenanzahl zwischen kleinem Finger und der ersten der großen Handlinien an der Handaußenkante bekanntlich sehen, wie viele Kinder man mal bekommt. Oder zeugt. Andere ziehen für diese wichtige Info an ihren Fingern und zählen die Knackse, mir wird aber schlecht, wenn ich Knochen knacken höre, und irgendwie habe ich ein komisches Gefühl, wenn der Nachwuchs schon in einem so frühen Stadium auf solch brutale Art und Weise ins Leben gerufen wird, darum würde ich zur Wahrsagerei die ungefährliche Handknickmethode bevorzugen.
Es gab auch noch etwas zum trauten, gemeinsamen Hähnchenknochen-Auseinanderbrechen, mir fällt nicht mehr ein, was es war, entweder heiratet der, der den größeren Teil des Knochens behält, noch im selben Jahr, oder er hat einen schlimmen Unfall mit Schleudertrauma. Ansonsten glauben vernünftige Menschen, dass bei der Hochzeit etwas Blaues tragen (Auge oder Zustand geht auch) die Trennungsoption verringere. Und dass die, die den Brautstrauß fängt, bald selbst dran ist, das weiß jedes Kind.
Bin wirklich ausgesprochen froh, dass ich diesen ganzen Schmu überhaupt kein Stück glaube. Ich schaue mir fröhlich meine Handkantenfalten an und denke höchstens an Karateschläge. Ich fange den Brautstrauß und mache spontan mit all meinen Freunden auf einmal Schluss. Hähnchenknochen schmeiße ich abgenagt unter den Tisch und trete drauf, und wenn ich niesen muss, dann habe ich mich verdammt noch eins mal wieder erkältet, und niemand denkt an mich oder geht gerade über mein Grab.
Vielleicht wäre es aber auch manchmal schön, etwas abergläubischer zu sein. Gerade in Liebesdingen. Man könnte einfach länger genießen! Beispiel: Eine meiner Freundinnen hat sich neulich in einen Urlaubsortkellner verguckt, und nun sitzt sie zu Hause und wundert sich, dass er sich nicht meldet. Dass so etwas nicht verwunderlich, sondern normal ist, und der Urlaubsortkellner vermutlich etwa „ich kann doch nicht jede niedliche Touristin anrufen, Himmel, Arsch und Zwirn“ denkt, auf Italienisch natürlich, das kommt ihr gar nicht in den verdrehten Kopf. Stattdessen versucht sie die Urlaubskellnerkontaktabstinenz mit merkwürdigen Auflagen wie „garantiert meldet er sich, wenn ich jetzt siebenmal die Autotür auf- und zuknalle“ abzustellen. Sie hat sich quasi einen eigenen Aberglauben erschaffen, ein kompliziertes System aus Sühne, Bestrafung und Belohnung. So ein Verhalten kenne ich höchstens aus einer Zeit, in der die Daumen noch fest hinter den Schulranzenriemen verhakt waren. Aber dass Liebe manchmal jung im Kopf macht, schlimmstenfalls sogar kindisch, ist ja nichts Neues.
Schlimmer noch als so ein kleines, persönliches Aberglaubesystem sind die Menschen, die mit dem Abergeglaube schon anfangen, bevor überhaupt etwas passiert ist: Dass wir uns ausgerechnet hier treffen, am Strand von Tralala, kann doch kein Zufall sein! Doch, ist es. Ist es immer. Gerade die Strandwiedersehen. Es haben einfach zufällig alle den gleichen, alten Anders-Reisen-Führer. Wenn man darüber nachdenkt, wie viele Chancen man täglich verpasst, weil der Zufall einen woanders hinschickt, könnte man direkt ein paar tiefe Stirnfalten mehr bekommen.
Es gibt jedoch eine wirklich herausragende Aberglaubegeschichte, die ein Bekannter von mir selbst inszeniert hat: M., der als Jungspunt allabendlich an der Kasse einer Diskothek saß, war in eine Diskobesucherin verliebt, die ihn leider noch nicht richtig bemerkt hatte. Er fand heraus, wie sie hieß und wo sie wohnte, und schrieb einen Brief an „den Mann im Mond“. Lieber Mann im Mond, schrieb er, zu gerne würde ich den Jungen kennen lernen, der jeden Abend an der Diskokasse sitzt. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Könntest du mir nicht Sand in die Augen streuen, damit ich ihn vergesse? Als Absender gab M. die Adresse der Angebeteten an. Die bekam also ein paar Tage später einen Brief von der Post zurückgeschickt, Adressat unbekannt, den sie erstaunlicherweise selbst verfasst zu haben schien. Sie stellte Nachforschungen an, lernte M. kennen und lieben, und obwohl die Geschichte Jahre her ist und die beiden kein Paar mehr sind (alles vergeht, nur Schweinsleder besteht), ist das wahrhaftig die hübscheste Art von Zufallsbeschleunigung, die mir je untergekommen ist.
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