: Musik als Rede und Dramatik
Man muss dem Musikfest wirklich dankbar sein: Wo zuletzt Plastik-Pop zu hören war, gab es jetzt Klänge der Extraklasse – Händels ,,Giulio Cesare“ im Musicaltheater
Da muss man als Interpret schon ein gesundes Selbstbewusstsein haben: Geschlagene viereinhalb Stunden dauerte die Aufführung von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Rahmen des Musikfestes. „Les Musiciens du Louvre“ unter der Leitung von Marc Minkowski haben es – mit vollem Recht.
Es gelang ihnen, den langen Abend ohne jeden Spannungsverlust über die Runden zu kriegen. Mehr noch: Er hätte immer so weiter gehen können. Und das will was heißen, denn bei dem 1724 in London entstandenen Werk handelt es sich um die schon sterbende „opera seria“, jener Operngattung aus dem frühen 18. Jahrhundert, die Affekt-Arie an Affekt-Arie reiht und mit ihrer Parodierung durch die „Beggars Opera“ schon vier Jahre später am Ende war.
Fast kann man die berühmte Geschichte von Cäsar und Cleopatra nicht mehr erkennen, so verworren ist sie in die politische Intrige verwoben. Das Libretto ist nicht viel mehr als eine Vorlage für einen heterogenen Affektenreigen, der zwischen römischer und ägyptischer Kultur seines gleichen sucht.
Die Töne und Atmosphären, die Händel über Instrumentation Artikulation und – für diese Zeit unerhörte – Harmonienwechsel findet, realisierte Minkowski mit durchgehend begeisternder Deutlichkeit. Wunderschön gelöst im Musicaltheater (dem man eine bessere Nutzung kaum wünschen kann): Die Szene auf dem Parnass, wenn die Instrumente auf den Emporen spielen.
„Halbszenisch“ hieß es in der Ankündigung, woraus dann Gott sei Dank „konzertant“ wurde. Die SängerInnen in ihrer Mimik und ihren körperlichen Bewegungen frei zu lassen, färbte mit Sicherheit positiv auf charakterisierende Stimmfärbung ab und ersetzte jede Inszenierung.
Grandioses war in diesem Sinne von Marijana Mijanoviv als Cäsar zu hören, von der jungen Danielle De Niese als Cleopatra, deren berückend schöne und ausdrucksstarke Töne in der exorbitant schweren Rolle vermuten lassen, dass hier eine ganz große Sängerin heranwächst. Auch alle anderen SängerInnen hätten eine besondere Auseinandersetzung mit ihren stimmlichen Leistungen verdient.
Der Abend war ein perfekter Anschauungsunterricht für durchschlagskräftige, nahezu vibratolose Stimmen mit schwierigsten Koloraturen und virtuoser Verzierungskunst als Basis für enorme Expressivität. Zusammen mit den Instrumenten bildeten sie eine absolut überzeugende Grundlage für die Rede der Tönen, für den Primat der Musik. Ovationen nachts um halb eins, die bewiesen, dass Minkowski keine Müdigkeit zuließ.
Ute Schalz-Laurenze
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