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„Jeder hat gleiche Chancen“

Der Göttinger Sportwissenschaftler Arnd Krüger im Interview über die Popularisierung der Trendsportart Marathon. Ein Grund für seine zunehmende Beliebtheit: Der ganz spezielle Kick wird durch körpereigene Opiate erzeugt

taz: Marathon ist in den vergangenen Jahren sehr populär geworden. Heute bemessen sich die Läufer oft nach tausenden. Woran liegt das?

Arnd Krüger: Ob heute wirklich mehr Menschen Marathon laufen, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Ich vermute eher das Gegenteil, denn die Wettbewerbe sind nur so groß, weil sie die kleinen und mittleren Veranstaltungen gefressen haben. Auch viele andere Indizien wie die rückläufigen Abonnementzahlen bei Fachzeitschriften sprechen dafür.

Die hohen Zuschauerzahlen sind aber doch ein deutlicher Hinweis für eine Popularisierung.

Das stimmt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zur wachsenden Popularität trug einmal bei, dass Läufer heute zum Stadtbild dazugehören. Ich erinnere mich noch wie, in den 60er-Jahren Läufer mit blöden Sprüchen wie „1, 2, 1, 2“ rechnen mussten. Die Normalisierung ist eine Voraussetzung für das Wachsen der Bewegung. Ein anderer Grund ist, dass am Marathon im Prinzip jeder teilnehmen kann. Dies ist ein wesentlicher Unterschied beispielsweise zur Formel 1, wo die Veranstalter das Teilnehmerfeld streng limitieren.

Glauben Sie, dass der Marathon eine Modeerscheinung ist, die schnell wieder vergeht?

Bei vielen Sportarten kommt der Kick vom Adrenalin. Beim Marathon kommt der Kick aber durch körpereigene Opiate zustande, die einen Suchtfaktor haben. Sportarten, die auf solchen Endorphinen beruhen, gibt es viel seltener als Adrenalin-Sportarten. Ich gehe deshalb davon aus, dass Marathon sich als Trendsportart behauptet.

Wer ist der typische Marathonläufer?

Man kann zwei Typen unterscheiden. Der Läufer vom alten Schlag läuft um des Laufens willen. Der neue Typ will sich vor Publikum zeigen, macht aus dem Training ein Happening, ist modebewusst und fühlt sich ohne Hightech-Schuhe nackt.

Praktisch jede Sportart kennt ihre Stars, heißen sie nun Becker oder Schuhmacher. Der Marathon hat keine Stars hervorgebracht. Was macht ihn dennoch so attraktiv?

Es ist noch nicht lange her, da musste Dieter Baumann beim Hanse-Marathon in Hamburg aufgeben, während sich viele Nichtprofis durch die Durststrecke zwischen Kilometer 30 und 35 durchbissen, wo die Glykogenspeicher leer sind. Es sind solche Erfahrungen, die den Marathon zu etwas Besonderem machen. Dieser Sport suggeriert: Jeder hat gleiche Chancen. Das macht ihn attraktiv.

Kann ein starloser Marathon unter den Bedingungen einer Mediengesellschaft überleben?

Auch Becker, das lässt sich mit harten Zahlen belegen, hat den Tennisboom nicht hervorgebracht, sondern ist vielmehr dessen Produkt. Von daher muss die Bedeutung von Stars differenziert betrachtet werden. Ein Grund dafür, dass es im Marathon keine Stars gibt, ist die große Bedeutung der Afrikaner. Sie bieten offensichtlich kein Identifikationspotenzial. Im Übrigen braucht der Marathon keine Stars, weil er im Unterschied zu anderen Sportarten einen Mythos hat.

Ist ein Sport rassistisch, in dem dunkelhäutige Menschen nicht zu Vorbildern taugen?

Das ist zu kurz gedacht, denn andere Sportarten kennen schwarze Stars. Die Tennisschwestern Williams wären hier zu nennen. Richtig ist aber, dass trotz aller Globalisierung Stars nach unseren Wahrnehmungsmustern nicht aus Afrika, sondern aus Europa, USA, Kanada oder Ostasien kommen. Afrikaner nehmen wir bisher nur in der Summe wahr.

Dass der Marathon keine Stars geboren hat, dafür sind vor allem auch die Medien verantwortlich. Sie wollen attraktive Sportveranstaltungen, mit denen sich Geld verdienen lässt. Marathonläufer können jedoch wegen der hohen Belastung nur drei- bis fünfmal im Jahr einen Marathon bewältigen. Das ist für die Medien nicht sonderlich interessant.

Beim Walking würde dieses Problem nicht auftreten.

Walking hat einen ziemlich unnatürlichen Bewegungsablauf und übt deshalb kaum Faszination aus. Walking heißt mit angezogener Handbremse Laufen. Das will man weder beim Autofahren noch beim Laufen.

INTERVIEW: TILMAN VON ROHDEN

Arnd Krüger, 58 Jahre, ist Professor für Sportwissenschaft an der Universität Göttingen.Der Vater von drei Kindern war neunmal Deutscher Meister und lief 1968 die 1.500 Meter Distanz im Halbfinale der Olympische Spiele.

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