: Mal wieder am Ball vorbeigeschlittert
Hertha-Stürmer Preetz trifft gegen Nürnberg nichts und darf vorzeitig vom Platz. Das Publikum lacht. Und Marcelinho schießt noch zwei Tore
von FRANK KETTERER
Zuerst säbelte er über den Ball. Später am Nachmittag schoss er das Spielgerät ohne größere Not und obwohl doch ziemlich unbedrängt völlig harmlos in die Arme des gegnerischen Torstehers. Gleich darauf kam er zu spät, nur ein paar Zentimeter zwar, was schon mal passieren kann, aber doch irgendwie unglücklich aussah. Schließlich zog er das Leder aus 16 Metern und wiederum frei von jedem Gegenspieler rechts am Kasten vorbei. Dann kam die 68. Minute, in der Huub Stevens die Mission von Michael Preetz für beendet erklärte und den brasilianischen Weltmeister Luizão an seiner Statt ins Spiel befahl.
Vielleicht war das ganz gut so. Vielleicht würde Preetz noch heute auf dem regengenässten Rasen des Olympiastadions hin und her rennen und diesen verdammten Ball einfach nicht ins Tor geschossen bekommen. Vielleicht aber hätte er auch gegen Nürnberg noch in den Kasten getroffen zu später Minute, so wie er es schon Ende der zweiten Halbzeit getan hatte, laut Schiedsrichter Strampe allerdings aus regelwidriger Position, weil aus dem Abseits. Dass sich diese Entscheidung bei Betrachten der Fernsehbilder als falsch herausstellen sollte, passt nur zur Ahnung, die am Ende ein ganzes Stadion gewonnen hatte: Der Samstag war wahrlich kein Preetz-Tag.
Nun ist Michael Preetz, mittlerweile im 36. Jahr seines Lebens angekommen und lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es solche Tage einfach gibt, zumal im Dasein eines Stürmers. Ein Stürmer wird an Toren gemessen – sagt Preetz selbst. Und wenn er keine Tore schießt, ist er beim Publikum schnell unten durch, und es pfeift und lacht sogar ein wenig höhnisch, wenn der Stürmer mal wieder am Ball vorbeischlittert. Dann ist auch schnell vergessen, dass dieser Stürmer noch vier Tage zuvor, also am Dienstag, das einzige und entscheidende Tor geschossen hat, Hertha nur deswegen in der zweiten Runde des Uefa-Cups steht und die Berliner Zeitung da noch titeln konnte: Preetz sei Dank.
Heute wird in keiner Zeitung eine solche Schlagzeile stehen. Heute wird von Preetz, dem Chancentod, oder ähnlichem zu lesen sein. So ist der Fußball. Und vielleicht ist Hertha-Trainer Huub Stevens auch deshalb ein wenig scharf im Ton geworden, als ihm von einem Reporter die eigentlich unverfängliche und mit wenig Aggressionspotenzial behaftete Frage gestellt wurde, wann und warum er sich überhaupt entschieden habe, diesen Preetz von Anfang an spielen zu lassen und nicht etwa Luizão, den brasilianischen Weltmeister. „Michael ist kopfballstark. Davon haben wir uns mehr Druck erwartet“, hat Stevens schließlich geantwortet. Außerdem sei er nach dem Kick vom Dienstag frischer gewesen als der brasilianische Kollege, weil nur die letzten sechs Minuten zum Einsatz gekommen. In diesen wiederum habe sich Preetz mit seinem entscheidenden Tor eine satte Portion Selbstvertrauen geholt.
Das sind nun alles wirklich gute Gründe, warum es wirklich keine schlechte Idee war, Michael Preetz von Anbeginn auflaufen zu lassen gegen die Franken. Und doch wird die Personalie Preetz weiter diskutiert werden, jedes Mal aufs Neue, wenn er nicht trifft. Und das nicht nur, weil er Stürmer ist, sondern mindestens ebenso sehr, weil dies seine letzte Saison als aktiver Fußballer bei Hertha sein wird; danach wird der 35-Jährige ins Management des Vereins wechseln, als Assistent mit noch nicht näher umschriebenem Aufgabengebiet. Das hört sich ja auch in der Tat ein bisschen nach Abschied auf Raten an, nach letzter Ehrenrunde in den Stadien dieser Republik für einen verdienten Mitarbeiter, ein bisschen fast nach fußballerischem Gnadenbrot. Warum, so fragt sich so mancher Fan, sollte man da noch weiterhin auf ihn, das Auslaufmodell, setzen, wo doch die Option auf die Zukunft schon da ist und Luizão nur auf seinen Einsatz wartet.
Preetz weiß um Fragen wie diese – und er reagiert allergisch darauf. „Das Gerede um meine letzte Saison kann ich nicht mehr hören. Ich habe noch einen Vertrag bis zum Juni 2003, so wie andere Spieler bei Hertha auch“, hat er bereits vor der Saison gewettert. Helfen werden ihm dennoch nur Tore. Schießt er sie, werden sie ihn feiern wie am Dienstag gegen Aberdeen. Schießt er sie nicht, werden sie ihn auspfeifen wie vier Tage später gegen Nürnberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen