: Harvard nach der Methode Bezirksamt
Die deutsche Industrie wollte in Berlin ein „Harvard an der Spree“ gründen. Nun fürchten selbst Wohlgesinnte: Die Bosse haben keine Lust mehr
von CHRISTIAN FÜLLER
Kunze heißt der Mann, Jürgen Kunze, und er gilt unter den Berliner Hochschul-Rektoren als einer der witzigsten. Jürgen Kunze, Gründungsrektor der kleinen, privaten OTA-Hochschule, nennt seine Institution neckisch: Gesamtkunstwerk. „Wir wollen nämlich eine Hochschule erschaffen – und keine Behörde und auch keine Tomatenfabrik.“
Kunze beschreibt Neugründen als Puzzlearbeit. Ständig müsse man anwesend sein, alles müsse gleichzeitig laufen – die akademische Konzeption mit den Menschen zusammenbringen; ein Verhältnis zwischen den Akademikern, den Praktikern und den anderen entstehen lassen – und, und, und. Es sprudelt nur so aus dem Mann heraus. Plötzlich hält er inne: Eine Hochschule braucht eine Seele, sagt er, einen spirit.
Gemessen am Lebenshauch der OTA-Hochschule ist die European School for Management and Technology (ESMT) ein Wrack, eine Leiche an der Spree. Außer dem Gebäude, das auf die Studenten wartet, gibt es so gut wie nichts. Kein Mensch, der dem Staatsrat Seele einhauchte. Dabei soll aus der ESMT ja ein „Harvard an der Spree“ werden, die beste europäische Management-Hochschule.
Eine Nummer kleiner haben es die Gründer der European School nicht – denn hinter ihnen steht das Who ’s who der deutschen Wirtschaft: Allianz, BMW, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, Lufthansa, Post und Telekom, E.ON, HypoVereinsbank, MAN, Münchener Rück, Robert Bosch, RWE, SAP, Schering, Siemens, ThyssenKrupp. Deren Bilanzsumme dürfte in etwa das deutsche Bruttosozialprodukt ergeben. Doch den Industriellen fiel jüngst nichts Besseres ein, als das bettelarme Berlin anzupumpen, ob es nicht den Umbau des Staatsratsgebäudes finanzieren könne. Kosten: 25 Millionen Euro. Gegenüber der taz dementierte ein Sprecher des Stifterkreises. Weitere Auskünfte: Fehlanzeige. „Alles läuft konstruktiv.“
Langsam ist freilich auch der Berliner Senat ein wenig verschnupft, der bisher alles erdenkliche für die ESMT getan hat. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat das Projekt zur Chefsache erklärt – wohl wissend, dass es eine mittlere Katastrophe wäre, wenn ein rot-roter Senat die deutsche Industrie vergrätzen würde. Leider befleißigt sich die Gründerseite einer Methode, die allen Beteiligten mittlerweile den Atem stocken lässt: Die Kapitäne der Wirtschaft, die nicht müde werden, den deutschen Bürokratismus zu geißeln, arbeiten nach der Methode Bezirksamt. „Es sind halt sehr viele Beteiligte, die sich da abstimmen müssen“, seufzt die PR-Arbeiterin eines der beteiligten Unternehmen – und legt auf.
Die Einschätzung aus einem der Industrie nahe stehenden Think Tank ist eine ganz andere: „Wir befürchten, dass die Wirtschaftsleute einen Anlass suchen, um aus dem Projekt wieder herauszukommen“, heißt es. Namen dürfen freilich nicht genannt werden: Wer will es sich schon mit den beiden größten deutschen Banken und den wichtigsten deutschen Autobauern verderben?
Der Grund für den angekündigten Flop liege darin, so die Argumenation, dass die Industriellen gemerkt hätten, welchen Aufwand die Gründung eines „Harvards“ tatsächlich bedeute – und dass es definitiv mehr koste als erwartet. 125 Millionen Euro wollte die Wirtschaft in das Projekt stecken. Bislang sind angeblich 100 Millionen da. Nur liegt dem Senat von Berlin bis heute, drei Wochen vor dem Gründungsakt, kein Antrag auf Gründung vor. Dafür gibt es Zeitungsartikel, in denen nicht genannte Herren aus der Wirtschaft raunen, die Hauptstadtbürokratie hintertreibe das Projekt.
Die Befürchtung, die ESMT könnte nie Wirklichkeit werden, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Bis jetzt gibt es von Seiten der Macher nur ein paar Seiten Papier. Der Staat hingegen hat einen der repräsentativsten Orte der Republik, das Staatsratsgebäude, spendiert. Kosten: 23,8 Millionen Euro. Das einzige echte Geld, das – abgesehen vom Mineralwasser für eine Pressekonferenz – bisher geflossen ist.
Alles Papierene indes ist ausschweifend und superlativisch: Die ESMT, steht da, strebe eine führende Position unter den Business Schools in Europa an. Man will in zehn Jahren zum Bedeutendsten auf dem Kontinent zählen. In Berlin werde der Managementnachwuchs sowohl für die Industrie als auch für die öffentliche Verwaltung gezogen. Immerhin, offiziell soll es inzwischen einen Gründungspräsidenten geben, Derek F. Abell, der – natürlich – in Harvard promovierte und lehrte. So jedenfalls erzählt es ein Fax aus Düsseldorf.
Wer hinaus nach Lichtenberg fährt, trifft in der OTA-Hochschule auf einen quirligen, gut gelaunten Jürgen Kunze. „Wir sitzen“, klärt er auf, „hier draußen, um eine Hochschule zustande zu bringen. Jeden Tag kommt ein Steinchen dazu.“ Wer am Staatsratsgebäude vorbeischlendert, sieht – niemanden.
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