: Das Fiasko von Mogadischu
„Black Hawk Down“ heißt Ridley Scotts Sonderanfertigung für den Hollywood-Produzenten Jerry Bruckheimer. Denn Somalia, das Engagement der USA im Rahmen einer UN-Friedensmission, steht für eine politische wie militärische Pleite – besonders Letztere ist aber üblicherweise nicht Bruckheimers Ding
von BRIGITTE WERNEBURG
Falls die Furcht vor den politischen Unwägbarkeiten die Ursache war, den deutschen Start von Ridley Scotts Film „Black Hawk Down“ vom Frühjahr in den Herbst zu verschieben, hat das wenig geholfen. Die nachfolgende Chronik eines lang angekündigten amerikanischen Angriffskrieges gegen den Irak hat das Risiko an der Kinokasse wohl nicht verringert. Mit massenhafter Sympathie für amerikanische Eliteeinheiten ist in Deutschland nicht mehr unbedingt zu rechnen, seit die US-Regierung ihre nationale Sicherheitsstrategie von der Eindämmung und Abschreckung auf die vorbeugende Selbstverteidigung umgestellt hat.
Der Film der Stunde stammt daher wieder einmal von Steven Spielberg. In „Minority Report“ ahndet eine zukünftige Polizei Verbrechen, noch bevor diese Verbrechen überhaupt begangen werden. So ungefähr darf man sich vorstellen, visioniert die Sicherheitsberaterin des amtierenden Präsidenten, Condoleezza Rice, wie die große Nation der Vereinigten Staaten von Amerika ihre potenziellen Feinde schon im Voraus unschädlich machen wird. Hollywood ist auf jeden Fall dabei. Denn sinnigerweise ist der Film über den Dritten Weltkrieg dort schon in Arbeit: Jerry Bruckheimer, der Produzent von Ridley Scotts „Black Hawk Down“ (wie auch von „Pearl Harbour“ und „Armageddon“) kündigt ihn seit längerem an.
Ob Ridley Scott dafür als Regisseur in Frage kommt, darf man bezweifeln. Schließlich handelt „Black Hawk Down“ von einem Fiasko. In dem Film nach der Vorlage von Mark Bowdens Recherche für den Philadelphia Inquirer passiert, was nicht passieren darf. Ein Soldat greift neben das Seil und fällt in die Tiefe, mitten in das Straßengewirr des Zentrums von Mogadischu. Der Unfall am 3. Oktober 1993 in der somalischen Hauptstadt lässt die geplante Mission von einer Stunde, bei der eine Gruppe hochrangiger Offiziere von Muhammad Farah Aidid festgenommen werden soll, in ein 15-stündiges Gefecht zwischen den amerikanischen Eliteeinheiten des UN Peace Corps und den Kämpfern sowie dem sympathisierenden Volk jenes Warlords ausarten, der nicht nur großenteils für die damalige Hungersnot verantwortlich war, sondern auch immer wieder UN-Mitarbeiter attackiert hatte. 18 Amerikaner kommen um, 80 werden verwundet, die Zahl der toten und verletzten Somalis summiert sich auf über tausend Menschen.
Mogadischu, das amerikanische Engagement im Rahmen einer internationalen UN-Friedensmission, steht für eine politische wie militärische Pleite. Politisch hatten sich die Amerikaner schon am 12. Juni vollkommen desavouiert, als sie ein Haus bombardierten, in dem sie die Leute von Aidid vermuteten. Das Problem war nur, dass es sich bei den regelrecht Hingerichteten um Clanchefs der gemäßigten Fraktionen handelte. Militärisch sollte sich die USA erst an jenem 3. Oktober entblößen. Dieses Debakel, das grundsätzlich einer Planung gedankt ist, für die das Wort „fahrlässig“ untertrieben scheint, liefert dem Regisseur den Plot. Nicht unbedingt die ideale Vorlage für einen Kriegsfilm. Und doch legitimiert nur das Desaster den Film, den Scott inszeniert hat. Über Fehler verliert man nicht viele Worte. „Black Hawk Down“ vertraut den Bildern und dem Soundtrack. Ausschließlich mit diesen Mitteln versucht Ridley Scott die minutiöse Rekonstruktion der erbitterten Auseinandersetzung. Ohne größere dramaturgische Umwege bringt er die Zuschauer direkt ins Zentrum des Kampfes, dahin, wo man lieber nicht sein möchte. Die Reduktion des Dramas auf einen konsequent abgemagerten Kriegsbericht erlaubt es ihm sogar, die moralische Fabel, die sonst zum Spielfilm gehört, in den Hintergrund zu verdrängen. Sein Film kennt seine eigenen Männer kaum besser als die des Gegners, patriotische Dialoge sind kaum je zu hören, die einzige Spur eines Subplots ist der interne Konflikt zwischen den Eliteeinheiten der Rangers und der Delta-Force-Soldaten.
Hauptdarsteller ist der Kampf selbst, der gleich zweimal ins Bild kommt, weil Scott zeigt, wie die Einsatzleitung in der US-Basis während des gesamten Gefechts über Luftaufnahmen das Geschehen im Zentrum Mogadischus verfolgt. Der nur um wenige Sekunden zeitversetzte, interne Kriegsfilm des Kommandos will zwar den neuesten technischen Stand der Kriegsführung dokumentieren. Doch darüber hinaus setzt ihn Scott dramaturgisch dazu ein, das Leitmotiv seines Films noch einmal zu verdeutlichen: Ruckelig, grob gerastert, ohne Ton und Farbe, steht das Video für den rohen, reportierenden Bildmitschnitt.
Das Video als synchrones Steuerungs- und Kontrollinstrument des Kampfes deckt den Wunsch auf, der den Kriegsfilm motiviert. Wenigstens nachträglich möchte man – von welchen Interessen auch immer geleitet – Kontrolle über die Ereignisse haben. Weil aber die Steuerung der Situation und die Herrschaft über den Lauf des Geschehens unmöglich sind, bewirkt das Video des Militärs, nicht anders als der Spielfilm, nur eines: Dass man das Desaster umso besser sieht. Man sieht den Krieg bei Scott so gut, dass er paradoxerweise zu einem ebenso berauschenden wie zähen und öden Vorgang wird. Der Moment des Berauschenden liegt eher bei den Bürgerkriegsschergen Aidids, bei den schönen Männern mit den enganliegenden Kopftüchern und den teuren Sonnenbrillen, die mit ihren, mit Maschinengewehren und Granatwerfern bestückten Jeeps fast zu tanzen scheinen. Ödnis und die Erschöpfung finden sich dagegen bei den Verletzten und Eingekesselten, den bedrängten Amerikanern. Doch auch sie schüren den Kampf und die Dramatik der Bilder, wenn sie mit ihren kleinen „Little Bird“-Hubschraubern herangeritten kommen, um Apocalypse Now noch einmal zu zitieren. Im steten Umschnitt in den Hubschrauber der Kommandoleitung, der wie das Auge Gottes hoch über dem Kampfschauplatz schwebt, meint man Scott, den ehemaligen Kunststudenten der Royal Academy, Nam June Paik paraphrasieren, zu sehen: „Film ist nicht, ich sehe. Film ist, ich fliege.“ Und dann schlägt man mit den abgeschossenen Black-Hawk-Hubschraubern hart auf den afrikanischen Boden.
In diesem geschärften Bewusstsein der eigenen Mittel und Vorbilder ist „Black Hawk Down“ eine Reportage über die Kunst des Kriegs nach der Epoche des Kalten Kriegs geworden. Nur die taktische, nicht die politische Problematik der internationalen Interventionen mit ihren so genannten schnellen Eingreiftruppen hat Scott interessiert. Sie liefert ihm die Bilder von ungeheurer, ja obszöner Wucht, die zeigen, wie sehr und auch naiv „Black Hawk Down“ einfach nur Kino sein will, und keinesfalls Überbau.
Der Überbau dagegen ist ganz entschieden Jerry Bruckheimers That’s-militainment-Ding. In seinem Imperium ist „Black Hawk Down“ nur eine in einer ganzen Armada von Kriegsfilmproduktionen, allerdings die Sonderanfertigung, das Art-Movie, das dem Kommerzproduzenten cinematografische Weihen verleihen soll. Für seine Karriere als erfolgreichster Produzent aller Zeiten brauchte es diese Zutat freilich nicht. Jerry Bruckheimer, der wahre Patriot, der die Amerikaner ihr großes Land lieben und an es glauben lässt, wie auf der einen oder anderen Website der Filmindustrie zu lesen steht, ist schon längst mit Dick Cheney und Donald Rumsfeld gut bekannt.
Und so durfte der Sohn deutsch-jüdischer Immigranten mit dem Segen des Verteidigungsministeriums und der aktiven Mithilfe des Pentagons erst kürzlich bei den amerikanischen Truppen in Afghanistan drehen. „Profiles from the Front Line“ lautet der Arbeitstitel für die Reality-TV-Soap, die Bruckheimer für den Sender ABC produziert. Während Journalisten zum Kriegsschauplatz nicht zugelassen waren (Doug Struck von der Washington Post wurde etwa mit Waffengewalt an eigenen Recherchen gehindert), unterlagen Bruckheimer und Koproduzent Bertram van Munster keinerlei Restriktionen. Schließlich verteidigte Admiral Craig Quigley die Soap in der New York Times auch mit den Worten: „Es gibt jenseits der Nachrichtenagenturen und -medien eine Menge anderer Wege, das amerikanische Volk zu informieren.“ Für diese Art Informationspolitik wäre die Paraphrase that’s terrortainment dann wohl richtiger.
„Black Hawk Down – Kein Mann bleibt zurück“. Regie: Ridley Scott. Mit Josh Hartnett, Ewan McGregor, Sam Shepard, u. a., USA 2001, 142 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen