: Eingekürzte Glücksvorstellungen
Andrej Woron inszeniert im Schauspielhaus des Bremer Theaters „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horvát. Tragödie oder Happy End gibt‘s nicht – dafür viel verwischtes Personal im freudig ausgespielten Jahrmarkts-Setting
Verdammt, Karoline. „Menschen ohne Gefühl haben es viel leichter im Leben.“ Sag‘ doch sowas nicht. Oder: „Die Menschen sind halt überall schlechte Menschen.“ Ist doch übertrieben. Immerhin gibt‘s doch noch einen Bräutigam, den Kasimir. Dumm nur, dass sich der auch so gut auskennt im Tal der Tränen: „Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist“ sagt er und: „Wir sind halt heutzutag alle älter als wie wir sind.“ Harte Zeiten für Kasimir und Karoline. „Vielleicht sind wir zu schwer füreinander –“ sagt Karoline so vor sich hin und Kasimir gerät auf diesen Satz hin in Rage. Wendet seinen ganzen Frust gegen Karoline. Ein blöder Streit und die beiden trennen sich. Gleich am Anfang eines Oktoberfest-Abends, für den diese Trennung lediglich die Ausganssituation ist.
Es ist die Zeit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre, in der Ödön von Horváts „Kasimir und Karoline“ ihr Kreuz tragen: Kasimir (Hermann Book) ist frisch gefeuert worden und das passt so gar nicht zu Karolines (Gabriela Maria Schmeide) Vorstellung, „eine höhere gesellschaftliche Stufe“ zu erreichen. Also schnappt sich Karoline erst den Zuschneider Schürzinger (Thomas Ziesch), den wiederum der Kommerzienrat Rauch (Matthias Kleinert) aus dem Rennen kickt.
Looser Kasimir säuft derweilen mit dem Kleinkriminellen Merkl Franz (Raiko Küster) und dessen Freundin Erna (Wiltrud Schreiner). Es folgt ein kleiner Autodiebstahl, bei dem der Merkl Franz festgenommen wird. Der Platz an Ernas Seite wird damit frei, Kasimir füllt einigermaßen lustlos die Lücke. Und für Karoline bleibt zu letzt doch nur Zuschneider Schürzinger: Der Kommerzienrat räumt das Feld auf Grund eines Herzinfarkts in Folge von Vollrausch.
Süffige Angelegenheit also, und am Ende geht keiner allein nach Hause – ein Happy End aber hat „Kasimir und Karoline“ nicht. Horvát lässt vielmehr geworfene Gestalten aufeinander los, alle das „Produkt ihrer Umgebung“ (Kasimir) und insofern versteh- und entschuldbar. Gemeinsam ist ihnen, wie sie ganz realistisch ihre Glücksvorstellungen immer weiter einkürzen bis am Ende der Satz übrigbleibt: „Solange wir uns nicht aufhängen, werden wir nicht verhungern.“ Gemeinsam ist ihnen auch die Sprache: Immer eine Phrase vorweg und eine (quasi-)philosophische Einsicht hinterher. Dabei plappern sie nicht nur, sie sagen auch was. Horváts Figuren sind flach und haben dabei Tiefgang.
Im Bremer Theater hält sich Regisseur Andrej Woron bei diesen Figuren genau daran, was Horvát in seiner eigens verfassten „Gebrauchsanweisung“ fordert: Am wenigsten stilisieren solle man Kasimir, Karoline und Erna, dann gibt es Gradunterschiede bis hin zu den Statisten, bei denen auch die Karikatur erlaubt ist. Der Gesamteindruck, der bei diesem Personal letztendlich zurückbleibt, ist alles andere als stark: Da steht der melancholisch sinnierende Kasimir neben dem 70er-Jahre-Ganoven-Witz Merkl Franz, die hellsichtige Erna trifft auf die 80er-Jahre-Tussen Elli und Maria und Karoline ist mal eigenwillige Frau, mal naives Mädchen, mal Ulknudel mit Comedy-Reiteinlage. Mit dem Personal verwischt auch die Geschichte.
Ein ähnliches Problem bringt die Oktoberfest-Situation mit sich: Woron liebt den Jahrmarkt und je mehr er ihn ausspielt, je mehr getanzt, gesungen und getrötet wird, desto weniger bleibt übrig von Kasimir und Kollegen. Immerhin: Worons theatraler Zauberkasten hält auch den ein- oder anderen netten Trick bereit. Aber im Kampf zwischen Problemzone und Spektakl will sich diese Inszenierung auf keine Seite schlagen. Klaus Irler
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