: Die Grenzen des Normalen
Verflicht gekonnt die verzwickten Probleme von Identität, Nation und Heteronormativität: „Varuh Meje – Guardian of the Frontier“, das Spielfilmdebüt der slowenischen Regisseurin Maja Weiss, auf den Lesbisch Schwulen Filmtagen
von KATJA STRUBE
Das Gelände ist wildwuchernd bewachsen, und mittendrin schlängelt sich ein schmaler schiffbarer Weg. Damit wird die Kolpa, der Strom, auf dem drei Studentinnen aus Ljubljana Kanu fahren, zum physisch gefährlichen Terrain: An dem Grenzfluss zwischen Slowenien und Kroatien ist eine junge Frau vergewaltigt und ermordet aufgefunden worden. Gleichzeitig symbolisiert das Gewässer in Maja Weiss‘ Spielfilmdebüt Varuh Meje den engen Grad des als normal Geltenden im sexuellen Bereich.
Beide Sphären drohen von den Mädchen neu erkundet zu werden. Neugierig betreten Alja, Zana und Simona die andere Seite des Flusses, die zu dem nun anderen Land Kroatien gehört. Die Leute dort, nicht weniger nationalistisch als die im eigenen Land, beäugen die drei misstrauisch und geben ihnen den Rat, dorthin zurückzugehen, wo sie hergekommen sind. Einzig ein alternder Theaterschauspieler, der in einer schwulen Beziehung lebt, geht herzlich auf sie zu. Simona, die am stärksten Angepasste der drei, erträgt dieses Andere im Anderen nicht und flieht – aus der Villa der Homosexualität und aus Kroatien, wo sie nicht hinzugehören scheint.
Zurück an der Kolpa, werden sie Zeuginnen der Festnahme von Flüchtlingen aus Kroatien. Sie selbst haben keine Pässe dabei und auch sonst kein Recht, sich in der Nähe irgendeiner Grenze zu bewegen – das macht ihnen der einschüchternde Grenzwächter, der „Varuh Meje“, unmissverständlich klar. Ausgestattet mit allen nur erdenklichen Machoattributen, versucht er fortan mit expliziten Verboten oder durch seine bloße Anwesenheit zu erwirken, dass beide Grenzen, die nationale wie die sexuelle, eingehalten werden oder – gelingt ihm das nicht – ihre Überschreitung zumindest sanktioniert wird.
Alja und Zana, die sich in einander zu verlieben beginnen, empfinden den Grenzwächter vor allem als Bedrohung, was die Filmmusik von Stewart Dunlop gekonnt unterstreicht. Auf Simona aber übt die kraftstrotzende Männlichkeit eine morbide Faszination aus. Sie begibt sich auf eine verzweifelte Suche nach der Zuneigung des Übermannes, die sie letztendlich mit der Hinnahme von Gewalt bezahlen muss.
Die verschiedenen Grenzen, von denen die Mädchen sich umgeben sehen, bewahren ihren normativen Charakter unabhängig davon, ob dieser in Frage gestellt wird oder nicht: Alja, Zana und Simona kommen über ein Dasein als Symbol für Unschuld und Verfügbarkeit kaum hinaus. Knapp bekleidet, sind sie dem mythischen „König des Waldes“, welcher nachts Jungfrauen zu sich holt, schutzlos ausgeliefert. Jederzeit könnte das Schicksal der Ermordeten zu ihrem werden. Doch die Spuren des Verbrechens tauchen während ihrer Reise nur verschwommen auf und verblassen sofort wieder, genau wie die Beweise für ihre eigenen Erlebnisse.
Die sichtbar psychoanalytisch versierte Regisseurin und Organisatorin des ersten slowenischen Frauenfilmfestivals Maja Weiss verflicht in Varuh Meje gekonnt die verzwickten Probleme von Identität, Nation und Heteronormativität. Dabei wird der Film metaphorisch so aufgeladen, dass eine rein narrative Lesart fast unmöglich ist. Doch die teils märchen-, teils albtraumhaften Szenen folgen in ihrem Rekurs auf Geschlecht und Nation auch auf der Ebene der erzählten Geschichte einer Dramaturgie, die durch ihre Konsequenz überrascht. Am Ende stellt sich die von Alja und Zana erörtete Frage, was wirklich passiert ist und was Phantasie oder Drohung war, für den gesamten Film.
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