: Asche auf Narben
Im domestizierten Körper des urbanen Menschen wurzelt eine Sehnsucht nach extremer Selbsterfahrung: Die beiden Künstler Andreas Fux und Harry Hauck eröffnen eine Diskursreihe über Geschlechterrollen in Ralf F. Hartmanns Projektraum Sensor K
von RICHARD RABENSAAT
Kein Zufall war es, der die beiden Künstler Harry Hauck und Andreas Fux zusammenführte. Der Körper und seine Verletzlichkeit ist ihr gemeinsames Thema. Ralf F. Hartmann, der Kurator des Projektraums Sensor K, erkannte darin das nötige Potenzial, um sie in einer Ausstellung zu präsentieren. Nun entwickelt sich aus der Konfrontation der in unterschiedlichen Medien ausgeführten Arbeiten ein energiegeladener Dialog: Die massive Präsenz der luftgefüllten Objekte Haucks kommentiert die spiegelglatten Fotografien von Fux.
Genau 70 Liter fassen die Gummihüllen. Das entspricht dem Volumen eines menschlichen Körpers. So hat Hauck mit seinen organhaften Skulpturen ein schlüssiges Symbol für Körperlichkeit in Zeiten des Verschwindens der Haptik gefunden. Er erinnert daran, dass menschliches Leben mit der Beatmung beginnt und mit dem Entweichen des Atems endet. Das menschliche Maß ist Hauck wichtig. Er möchte keine formverliebten Abstraktionen in die Welt setzen. Seine Gummiobjekte wirken nach einer gründlichen Oberflächenbehandlung so zerfurcht und massiv wie Steine. Dennoch sind sie hohl, nur ein blinkendes Autoventil deutet ihre wahre Materialität an.
Die Haut der von Andreas Fux fotografierten Personen dagegen ist teilweise unwiderruflich zerschnitten. Tiefe Kerbungen hat der Einschnitt mit dem Skalpell in der weißen Haut des emporblickenden Jünglings hinterlassen. Die bei Hartmann ausgestellten Fotografien sind Teil einer Serie, die Fux über mehrere Jahre hinweg vervollständigte.
Eines der Bilder zeigt einen jungen Mann in trotziger Jim-Morrison-Pose, dessen in die Haut geschnittenes Wabenmuster mit Asche eingerieben ist. „Die Narben sollen bleiben“, kommentiert Fux. Der Fotograf mag nicht über die Motive der Abgelichteten für die Verletzung spekulieren. Überhaupt lässt die Intensität der Fotos eine Nähe erahnen: „Ich habe nie beim ersten Treffen fotografiert“, denn zunächst müsse das Vertrauen zwischen Fotograf und Modell entstehen, so Fux. Am Anfang standen Bilder nackter junger Männer, dann bat eines der Modells, beim Schneiden fotografiert zu werden. „Der Vorgang erschien mir wie eine Reinigung“, mutmaßt Fux dann doch. Die hellen Körper vor dem weißen Hintergrund, der manchmal gen Himmel gerichtete Blick, der blutende Körper provozieren unwillkürlich Assoziationen an Märtyrerdarstellungen. Riberars heiliger Sebastian lässt grüßen. Nicht zufällig entstehen die Aufnahmen mit einem neutralen Hintergrund. Fux möchte keine Fotos machen, die mit modischer Attitüde soziales Elend oder auch nur vordergründiges Spektakel bebildern. Einer der Abgebildeten hätte sich während mehrerer Sessions zwar immer tiefer verletzt, aber: „Danach wirkte er, als wäre er irgendwo angekommen, wo er schon vorher hin wollte.“ Ahnt zumindest Fux und verweist auf Initiationsriten der Naturvölker. Vielleicht wurzelt ja auch im domestizierten Körper des urbanen Menschen eine Sehnsucht nach extremer Erfahrung des eigenen Selbst. Schließlich experimentieren auch Künstler exzessiv mit dem eigenen Körper – allen voran der an unter der Haut durchgezogenen Metzgerhaken aufgehängte Stelarc und die auf schmelzenden Eisblöcken posierende Marina Abramovic. Der menschliche Körper in seinen sozialen und geschlechtlichen Konnotationen ist auch wesentlicher Teil des Programms des Projektraums. Hartmann will den Körper als Reflexionszone zeigen, schließlich wird der männlichen Körper in der Werbung und den Medien so dargestellt, dass Diskurse über Identität und Geschlechterrollen in immer stärkerem Maße auch am Bild des Mannes abgehandelt würden – allerdings meistens eines auf ein Klischee reduzierten Mannes. Der Kurator besteht darauf, dass es sich bei Sensor K nicht um eine Galerie handele. Er wolle niemand am Markt positionieren, sondern Künstlern die Möglichkeit bieten, in die für sie wichtigen Diskurse und Auseinandersetzungen zu gelangen: „Galerien, die hübsche Dekorationen verkaufen, gibt es genug.“
Di, Mi, Do 14–18 Uhr u. n. V., Sensor K., Mehringdamm 79, Kreuzberg www.sensor-k.de
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