: Voll gematscht und nur noch fünf Leben
Trübe Versammlung früh vergreister, sich halbherzig prügelnder Jungs und weiblicher Kampfroboter: Regina Wenig inszeniert in Neuen Cinema mit Anne-Kathrin Schulz‘ „Silly Songs“ ein düsteres Zukunftsszenario
Küken wird zum Kampfroboter. Das süße Mädchen mit der wilden Lockenmähne stellt sich breitbeinig auf, einen Arm streckt sie zum Maschinengewehr, zwei Finger werden Projektil. Sie zielt mitten ins Publikum. Und erzählt, wie sie ‘ner Tussie in die Fresse haute und ‘nem Typen in die Eier trat. Das machte ihr richtig gute Laune. Doch dann wurde sie selbst „gematscht“ und hat nur noch „fünf Leben“. Semf hat noch neun Leben, weil er ständig Fernsehen guckt und nicht zum Leben kommt.
Eine Welt in naher Zukunft, so sinnlos, kalt und gewalttätig wie in einem Computerspiel, entwirft die 1972 geborene Autorin Anne-Kathrin Schulz in ihrem Stück Silly Songs, das jetzt im Neuen Cinema uraufgeführt wurde. Während auf der Straße demonstriert wird, igeln sich drei junge Leute in der Wohnung ein. Küken (Sarah Masuch) wohnt noch zu Hause und ist vom Demokratie-Gequake ihrer Eltern genervt. Sie heult sich bei Lobbo (Matthias Breitenbach) und Semf (Marc Letzig) aus, die sie zwar nicht ganz ernst nehmen, aber immerhin dulden. Was sie eint: ihre Angst vor dem Mob auf der Straße. „Es muss weniger Menschen geben, und die müssen besser sein“, sagt Lobbo. Und traut sich dann doch als Einziger hinaus und kommt nicht wieder. Eine Generation ohne Ideale und Illusionen.
Bei ihrer Inszenierung hält sich Regisseurin Regina Wenig exakt an die Vorlage. Trotzdem sind Angst und Verzweiflung in diesem pessimistischen Szenario nur in Ansätzen spürbar. Lobbo und Semf hängen wie zwei früh vergreiste apathische Jungs auf einem Sitzsack ab und lamentieren über den Zustand der Welt. Erst als Lobbo vom Tod seines Bruders erfährt, kommt kurz eine Gefühlsregung auf.
Leben steckt vor allem in Küken. Sarah Masuch schlüpft präzise von einer Rolle in die nächste: Erst ist sie ein kleines, naives Mädchen, dann schnoddriges Girl, sexy Frau oder Kampfmaschine. Während die zwei Jungs sich im Hintergrund eher halbherzig prügeln, legt sie eine atemberaubend kraftvolle und geschmeidige Performance als Kampfroboter hin. Ist das die Zukunft? Frauenpower versus schlaffe Männer? Apathie angesichts roher Gewalt? Antworten scheint es längst nicht mehr zu geben. Und auch die Liebe hat hier keine Zukunft. Es knistert zwar zwischen Küken und Semf, doch sie berühren sich nicht einmal, sondern leuchten ihre Körper nur mit einer Taschenlampe ab. Karin Liebe
Nächste Vorstellung: 13. November, 19 Uhr, Neues Cinema
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