: Kein Fall fürs Museum
Ein halbes Jahrhundert Jazzgeschichte geschrieben: Gespräch mit dem Saxophonisten Sonny Rollins
Interview: TOM FUCHS
Saxophone Colossus – der Titel einer frühen Platte beschreibt treffend die Position des Jazzmusikers Sonny Rollins. Seit gut 50 Jahren zählt er zu den wichtigsten Tenorsaxophonisten – für manche der größte aller Zeiten. taz hamburg sprach mit dem 72-Jährigen, der heute mit seinem aktuellen Quartett in der Musikhalle gastiert.
taz hamburg: Sonny Rollins, es gibt nicht mehr viele Jazzmusiker aus Ihrer Generation. Fühlen Sie sich nicht manchmal etwas einsam?
Sonny Rollins: Ja, wenn ich an Art Blakey, Thelonious Monk und Miles Davis denke, schon. Aber man kann auch nicht von den heutigen Musikern fordern, dass sie zu spielen haben wie in den fünfziger Jahren. Ich tue das ja auch nicht. Musik bedeutet Entwicklung, vor allem im Jazz: Er lebt, er atmet. Jazz ist kein Fall fürs Museum. Ob man mit dem Resultat dann wirklich zufrieden ist, steht auf einem anderem Blatt. Ich etwa bin auch nicht gerade darüber glücklich, dass ich in meinem Alter gewisse Dinge nicht mehr spielen kann, so ist halt der Lauf der Dinge.
Anders als Sie erwerben die heutigen Jazzmusiker ihr Handwerk oftmals am Konservatorium in speziellen Kursen. Kann man Jazz überhaupt an der Schule lernen?
Ich denke schon, es hat auch einige Vorteile. Wenn etwa jemand begabt ist und Talent hat – das ist allerdings die Voraussetzung – dann hat er es an einer Schule leicht, sich das Grundwissen anzueignen. Und natürlich verhilft die Schule dem Jazz zu einem besseren Image in der Öffentlichkeit, als er es noch in unserer Jugendzeit hatte.
Wird von den jungen Jazzern heutzutage vieles verbissener angegangen, während bei Ihrer Musik der Humor immer ein große Rolle gespielt hat?
Das mag sein, viele hängen zu sehr an den Noten, spielen alles werkgetreu und vergessen dabei völlig den individuellen Ausdruck. Ich kenne einige, die technisch hervorragend sind, aber es fehlt ihnen die menschliche Komponente, die Fähigkeit, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Das ist das Wichtigste überhaupt im Jazz. Schauen Sie sich Louis Armstrong an, viele sahen in ihm nur den Clown, aber er war ein genialer Musiker, der mit den Leuten durch seine Musik ins Gespräch kam.
Von Sonny Rollins erwarten die Leute lange Soli, Spontaneität und Kreativität. Setzt Sie dies nicht unter enormen Druck?
Nicht besonders. Man kann dem Jazz nicht diktieren, wie er zu klingen hat an einem speziellen Abend. Dafür ist er zu spontan und unberechenbar. Das gilt auch für den Spieler, also auch für mich. Ich kann nie sagen, ob ein Abend gelingt, das muss sich organisch aus der Musik selbst ergeben. Meine Musik lebt vom Augenblick, nur dem ist sie verpflichtet. Ich will die Leute natürlich nicht enttäuschen, deshalb versuche ich auch immer, ein gutes Konzert zu geben.
Früher gönnten Sie sich lange Auszeiten vom Musikgeschäft, um neue Kraft zu schöpfen. Denken Sie auch heute noch daran, sich ein weiteres „Sabbatical“ zu gönnen?
Diese Pausen sind an sich betrachtet völlig in Ordnung, und ich würde auch wieder eine einlegen, wenn ich nicht dieses untrügerische Gefühl in mir verspürte, dass meine mir verbleibende Zeit als Saxophonist begrenzt ist. Ich will sie so intensiv wie möglich nutzen, deshalb verbietet sich der Gedanke an eine kreative Pause von vornherein.
War das nicht ein großes Risiko, sich damals ganz aus der Szene zurückzuziehen?
Viele haben das gesagt, ja. Aber ich war mir von Anfang an sicher, was ich in der Musik wollte und ich hatte einen starken Glauben an meine Fähigkeiten, die ich letztlich nur verbessern wollte. Die Befürchtung, dass man mich in der Zwischenzeit hätte vergessen können, sah ich also nicht, und wie sich dann herausstellte, war sie ja auch unbegründet.
Welche Musik hört sich Sonny Rollins eigentlich privat an?
Es ist eigentlich eine Schande, aber ich höre mir so gut wie keine Musik zu Hause an, dafür habe ich einfach keine Zeit. Obwohl ich manchmal glaube, dass es mir ganz gut täte, mal in die eine oder andere Platte reinzuhören.
heute, 20 Uhr, Musikhalle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen