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Indien setzt auf noch mehr Atomstrom

Der Ausbau der nuklearen Selbstversorgung ist für die Regierung vorrangiges Ziel. Derzeit acht Reaktoren in Bau

NEW DELHI ips ■ Indien bewegt sich mit Hochdruck ins Atomzeitalter. Eine neue Generation von Schwerwasserreaktoren soll langfristig den rasant wachsenden Energiebedarf des Subkontinents decken helfen. 100 ausgewählte Topwissenschaftler haben eine zweijährige Frist erhalten, um ein komplett mit einheimischen Mitteln zu realisierendes Projekt für thoriumbasierte Schwerwasserreaktoren auszuarbeiten, erklärte Anil Kakodkar, der Hauptarchitekt des indischen Thorium-Reaktorprojekts und Vorsitzende der indischen Atomenergiekommission (AEC). Ziel des Projekts sei es, auch langfristig eine Abhängigkeit im Energiebereich zu vermeiden, erläutert Kakodkar.

Indien fördert nur geringe Mengen Uranium, verfügt aber gleichzeitig über die weltweit größten Vorkommen an radioaktivem Thorium. Durch eine Beschießung mit Neutronen kann daraus spaltbares Uranium-233 gewonnen werden. Dieses wiederum bildet die Grundlage für Mischbrennstoffe, mit deren Hilfe eine Kettenreaktion in fortgeschrittenen Schwerwasserreaktoren (AHWR) aufrechterhalten werden kann.

Die indische Atomenergiekommission AEC hat sich in den letzten Jahren weltweit einen Ruf für fundierte Kenntnisse im Bereich der Mischbrennstoffe aus Uranium, Thorium, Plutonium und Uranium-233 erworben. Auch einige andere Länder, darunter die USA, hatten in der Vergangenheit mit Thorium experimentiert, diese Versuche jedoch wegen der billigen Verfügbarkeit von Uranium bald wieder eingestellt. Darüber hinaus basiert der Thorimkreislauf auf der Wiederaufbereitung von Brennstoffen und wirft darum Fragen der Weiterverbreitung von waffenfähigem Spaltmaterial auf.

Nachdem die USA 1974 nach indischen Nukleartests ein Technologieembargo erklärt hatten, verfolgt Indien eine Politik der technologischen Unabhängigkeit im Bereich der Atomtechnologie. Neben einheimischen Forschungsprogrammen konnte die indische Regierung in der Vergangenheit jedoch trotz des US-Embargos immer wieder auch auf ausländische Hilfe zurückgreifen. Frankreich etwa war mit der Lieferung von angereichertem Uranium eingesprungen, nachdem Washington die Lieferungen mit der Begründung eingestellt hatte, Indien zweige Material für sein Atmwaffenprogramm ab. 1998 erklärte Indien tatsächlich, nach einer Testreihe sei man nunmehr in der Lage, Atomwaffen herzustellen.

Einer der wichtigsten Partner der indischen Nuklearindustrie ist heute Russland, das Indien schon zu Sowjetzeiten unter die Arme gegriffen hatte. Erst im vergangenen November unterzeichneten die beiden Staaten einen Vertrag über den Bau zweier großer Reaktoren mit einer Kapazität von 2.000 Megawatt in Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Derzeit verfügt Indien über 14 Atomreaktoren. Von ihrem selbst gesteckten Ziel, bis zum Jahre 2020 ungefähr 20.000 Megawatt Strom aus Nuklearenergie zu gewinnen, ist die indische Atomenergiekommission jedoch trotzdem nach wie vor weit entfernt: Derzeit produzieren die existierenden Reaktoren jährlich 2.700 Megawatt. Acht weitere Reaktoren sind zurzeit in Bau – mehr als in irgendeinem anderen Land der Welt. RANJIT DEVRAJ

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