: Mit Vincent in die Champions-League
Bremen hat wieder ein Ausstellungs-Event: „Van Gogh: Felder. Das ‚Mohnfeld‘ und der Künstlerstreit“ verspricht gewaltige Besucherzahlen. Die Exponate kommen aus der ganzen Welt – und bleiben doch immer rückgebunden an die Kunsthalle
Kein Wunder, dass die Diva Liz Taylor ein Gemälde von ihm im Esszimmer hängen hat: Vincent van Gogh hat eine Strahlkraft, vor der noch jeder herkömmliche Star in die Knie geht. Mythen, wo man hinschaut. Allein der Aspekt des verkannten Künstlers: Zu Lebzeiten enorme Absatzschwierigkeiten und 1890 ein Selbstmord in bitterster Armut, hundert Jahre später dann eine Auktion, auf der für einen einzigen van Gogh 82,5 Millionen Dollar bezahlt werden – van Gogh ist Urheber des teuersten Gemäldes der Moderne. Außerdem: Genie und Wahnsinn. Eine seiner produktivsten Schaffensperioden hatte van Gogh in einer Irrenanstalt. Und dann ist da noch die Sache mit dem Künstlerstreit im Jahr 1911 – losgetreten durch den Ankauf eines van Gogh.
Die Mythen um Vincent van Gogh, sie treffen sich allesamt in der großen, lange angekündigten, noch länger vorbereiteten Ausstellung „Van Gogh: Felder“ in der Bremer Kunsthalle. 50 Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle hat Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath aus der ganzen Welt zusammengetragen, die Vorbereitungszeit betrug fünf Jahre. Der Gesamtetat von 4,5 Millionen Euro speist sich zu knapp über 25 Prozent aus der Kasse des Kultursenators, knapp unter 25 Prozent steuern private Sponsoren bei und die restlichen 50 Prozent sollen durch die Eintrittsgelder eingespielt werden. „150.000 Besucher müssen kommen, damit wir am Schluss eine schwarze Null schreiben können“ hat Kunsthallen-Geschäftsführer Hans Diers errechnet. Zum Vergleich: Damals beim „Blauen Reiter“ wurden 100.000 Besucher erwartet, gekommen sind 170.000. Bremen hat mit der Van-Gogh-Ausstellung wieder ein Ausstellungs-Event, und Wulf Herzogenrath hat einen Grund, Selbstbewusstsein zu demonstrieren: „Es gehört ein Champions-League-Ereignis dazu, dass wir dann auch wieder normal in der Bundesliga spielen können.“
Kunst mit hoher Einschaltquote in Bremen und das Gelungene daran ist: Das Event schwebt nicht frei im Raum, es ist rückgebunden an die Gegebenheit vor Ort, und die heißt: Das „Mohnfeld“. 1911 kaufte der damalige Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli das Werk für schlappe 30.000 Mark, sicher eine der besten Investitionen, die Bremen je getätigt hat. Zumal der Kauf Bremen bundesweit berühmt machte: Carl Vinnen, ehemaliger Kaufmann, Maler und Vorstandsmitglied des Bremer Kunstvereins, nahm das „Mohnfeld“ zum Anlass, eine überregionale Kampagne gegen den Ankauf nicht-deutscher Kunst loszutreten. 123 Künstler und 17 Kritiker unterstützten Vinnen per Unterschrift, Traktate und Bücher wurden geschrieben und Debatten geschlagen – Dirketor Pauli schaffte es sogar bis zur Beleidigungsklage. Eine Gegenbewegung formierte sich aus damals jungen Künstlern wie Franz Marc, Wassily Kandinsky und August Macke. Die Ausstellung in der Kunsthalle widmet diesem Streit zwei Räume, einen mit Werken der Künstler aus beiden Lagern, den zweiten mit Schautafeln, die harte Fakten nennen. Klar wird: Der Künstlerstreit drehte sich tatsächlich nicht um ästhetische Fragen, sondern nur um ökonomische.
Der andere und weitaus größeren Teil der Ausstellung untersucht die Entstehung des „Mohnfelds“, er erzählt von van Goghs Situation in der Heilanstalt von Saint-Rémy, wo das Bild 1889 entstand, und von der Zeit kurz davor in Arles und kurz danach in Auvers. Van Gogh entschied sich nach Halluzinationen und Selbstverstümmelung selbst für den Aufenthalt in der Heilanstalt, sein genaues Krankheitsbild ist bis heute unbekannt. Kustodin Dorothee Hansen: „Die Ausstellung widerspricht dem Mythos eines Künstlers, der im Wahn arbeitet. Van Gogh hat sich sehr bewusst und und präzise seiner künstlerischen Sprache bedient.“ Gezeigt wird, wie van Gogh nach und nach perspektivische Zwänge ablegt, wie er die beiden gestalterischen Komponenten der Raumdimension und der Flächigkeit erforscht und letztlich in einer eigenen künstlerischen Vorstellung zusammenführt.
Highlight neben dem „Mohnfeld“: Die „Felder mit kleinem Wagen“ von 1890, eine Leihgabe des Moskauer Puschkin-Museums und erstmals außerhalb dessen Mauern zu sehen. Und das deutlich: Die Gemälde haben die Ausstellungsmacher zum Zwecke optimal inszenierter Farbenkraft vor einen Umbra-farbenen Hintergrund gehängt und damit eine gute Entscheidung getroffen. Van Goghs Kunst strahlt – hinter Glas, hinter einem kleinen Zäunchen, unter ständiger Beobachtung von Überwachungskameras. 500.000 Euro hat die Kunsthalle allein in zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen investiert, auf insgesamt eine Milliarde Euro wird der Wert der Gemälde insgesamt geschätzt. Hauptleihgeber sind das Van Gogh Museum in Amsterdam sowie das Köller-Museum in Otterloo. Mit dabei sind aber auch: Sao Paulo, New York, Jerusalem usw. Nur der van Gogh von Liz Taylor fehlt. Der bleibe, so ihr Rechtsanwalt, konstant und unveränderbar bei ihr hängen.
Klaus Irler
vom 19.10. bis zum 26.1. Di, Fr und Sa: 10 bis 22 Uhr. Mi, Do, So 10-18 Uhr
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