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Wiegenlied des reisenden Containers

Urbane Kritik und Kioskkultur: In Dresden widmen sich diverse Kunstprojekte der Belebung städtischer Brachflächen

Im Sommer kam Asiah Abdul Rahim nach Dresden zum Weltkongress der Architektur. Von einer Tageszeitung nach ihren Eindrücken gefragt, wunderte sich die Architektin aus Malaysia über die vielen Freiflächen in der Stadt: „Warum passiert dort nichts? Wenn schon nicht gebaut wird, sollten doch wenigstens Parks, Spielplätze, Grünflächen angelegt werden.“

Genau diese temporäre Belebung und Markierung von städtischen Brachflächen hatten sich Eva Hertzsch und Adam Page auf die Fahnen geschrieben, als sie vor zwei Jahren ihren mobilen Container „Info Offspring“ entwarfen. Im Rahmen ihrer „Recherchen im urbanen Raum“, wie das Kunstprojekt untertitelt war, tauchte das pinkfarbene Häuschen erstmalig auf dem Altmarkt auf und musste sich zunächst gegen zahlreiche Kritiker der so genannten Kioskkultur behaupten, besonders jene im Stadtplanungsamt. Seither hat es sich aber als wandernder Ausstellungsraum etabliert. „Info Offspring featuring …“ heißt die Reihe, mit der jährliche Kunstprogramme in die Hand von KuratorInnen gegeben werden, die in dem winizigen Raum zeigten, dass Initiative nicht an Kunsthallen gebunden sein muss.

Im vergangenen Jahr erfolgten zwei Gastspiele vor dem verwaisten einstigen Hauptpostamt in der Neustadt und später auf der Prager Straße: beides Standorte, die durch Leerstand oder Bautätigkeit beeinträchtigt waren und den allgegenwärtigen Zustand der Dysfunktionalität verkörpern. Nach einer Winterruhe erschien „Info Offspring“ nun aufs Neue: diesmal mitten in Dresden-Prohlis, einer der berüchtigsten Plattenbausiedlungen, und dazu noch vor dem Eingang zum dortigen Einkaufscenter, betreut von der Berlinerin Christiane Mennicke.

Vielleicht werden die Prohliser Anwohner noch in Jahren von jenem wilden Event schwärmen, das im Sommer dort wahrhaftig über den roten Teppich ging: Der junge Franzose Jérôme Chazeix hatte einen Catwalk organisiert, bei dem sich männliche Models in Secondhand-Damenkleidern zu zeigen und sich gleichzeitig an Rum zu laben hatten. Ein Riesenspaß, der die aus der Ferne der Innenstadt angereiste Kunstszene ebenso belustigte wie die lokale Bevölkerung.

Bei allem Spektakel jedoch verwiesen diese Performance wie auch Arbeiten von Alisa Anh Kottmair oder von Till Nikolaus von Heiseler/Michaela Kaspar auf die Irritationen und Aggressionen, die das Anderssein durch sexuelle oder ethnische Prägung auslöst. Christiane Mennicke setzt mit ihrer Auswahl einen deutlich kritischen Akzent und vergrößert, wie etwa mit dem Piratensender der Londoner Künstlergruppe Inventory, den Aktionsradius des Unternehmens ganz entschieden. Der Juni stand dann im Zeichen kritischer und flexibler Stadtgestaltung mit Bezug auf das Wiegenlied des reisenden Containers. In Prohlis gastierte die Gruppe BergWerk – passenderweise, denn diese Potsdamer Initiative entwickelt seit Mitte der 90er-Jahre Platzgestaltungen, Treffpunkte, Lauben und Spielplätze, vor allem in Plattenbaugebieten.

Gemeinsam mit möglichen künftigen Nutzern kam BergWerk seiner Mission als Idealist und Dienstleister nach. Unter den Entwürfen, die erarbeitet wurden, erfreute besonders der entschieden partizipatorisch angelegte Vorschlag einer mobilen Trinkstation, die sich der schwierigen Situation ortsansässiger Alkoholiker annimmt.

Nach unfreiwilliger Hochwasserpause wandelte Jelka Plate aus Hamburg den Container in ein öffentliches Wohnzimmer um und zeigte hinter und neben heimeligen Spitzengardinen Dokumentationen von Hamburger Unternehmungen im Stadtraum. Derzeit gibt es eine Begegnung mit den Urhebern eines fast noch stärker integrativ gedachten und mittlerweile (dank der Documenta_11) noch weitaus bekannteren Projektes: Mit Margit Czenki und Christoph Schäfer treten die Initiatoren der Hamburger Künstler-Bürger-Initiative Park Fiction nun in der Dresdner Stadtmitte, dem Postplatz auf. „Info Offspring“ ist nämlich umgezogen, verwirrt und fasziniert nunmehr die Passanten vor einem schon lange leer stehenden und im Schatten der drohenden Abrissbirne dämmernden realsozialistischen Gastronomiekomplex. Auch die einstige „Zwinger-Gaststätte“ bietet als trutziger Baukörper das Bild einer innerstädtischen Brache, die nur im Erdgeschoss bisweilen von Billigshops bewirtschaftet wird. Margit Czenkis surreale Wäscheleinen lösen mit Sicherheit Kopfschütteln aus, flattern daran doch Kleidungsstücke, die sie mit Motiven geradewegs aus dem stigmatisierten Prohlis versehen hatte. Auf den Stoff des karierten Hemdes blenden sich wie selbstverständlich die minimalistischen Fensterfassaden der Fertigteilmodule ein.

Christoph Schäfer bezog sich in seiner Arbeit am „Fresswürfel“, wie der graue Klotz im lokalen Volksmund genannt wird, auf die Idee des „Großen Fressens“. Damit verkuppelte er die Stillleben barocker Fressgelage etwa von Frans Snyders, wie sie in der benachbarten Gemäldegalerie Alter Meister hängen, mit allgegenwärtiger Imbisskultur. Zur Eröffnung lud Schäfer kurzerhand den Betreiber eines nahen Dönerstandes als Fachreferenten ein.

Vor dem obligatorischen Winterschlaf des wandelnden Ausstellungs- und Servicekiosks und dessen Wiederaufstellung im Frühjahr 2003 zeigt das „Elternpaar“ Hertzsch & Page, im Kreise von Klaus Weber und Reiner Kamlah, noch einmal seine Version urbanistischer Kritik im Gewand von Comics, an den Außenseiten ihres Häuschens. Die waren ohnehin als öffentliche Pinn- und Kunstwände angelegt worden und ziehen Neugierige magnetisch an. Käme also Asiah Abdul Rahim aus Malaysia wieder nach Dresden, fände sie ihre Vitalisierungsideen spontan umgesetzt. Denn an Eröffnungsabenden wird vorm Fresswürfel passenderweise gegrillt. Und schließlich wanderte gar ein Partyzelt als Ableger des Offspring auf die Wiesenfläche des zentralen Postplatzes.

SUSANNE ALTMANN

17. 10.–26. 10.: Stadt-Hand-Apparat mit Klaus Weber, John Hicklenton, Eva Hertzsch & Adam Page und „Queer Space“, initiiert von Rainer Kamlah

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