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„Ich“ kann eine Perücke sein

In dem Projekt „Trading Images“ des Museums der Arbeit zeigen Filmemacherinnen von fünf Kontinenten ihre Vision von Weiblichkeit. Einzige Parallele: Die Suche nach Identität

von KATRIN JÄGER

Wir schreiben das Jahr 200X. Die Menschen sind unsichtbar. „Einige sagen, es geschah durch Zufall bei einem genetischen Experiment, andere meinen, es gibt so etwas wie eine kosmische Netzhaut, die an einer Stelle gerissen ist“, erzählt die Stimme im Off, während eine geisterhafte Frauengestalt durch ihre futuristische Wohnung streift. Mit ihrer Sichtbarkeit glaubt sie auch ihre Identität verloren zu haben. Sie lechzt deshalb nach Bildern aus der Vergangenheit, als die Menschen noch ein Bild von sich und anderen hatten.

Zum Glück gibt es Videos von damals, aus dem Jahr 2000. Die guckt sie – und die Zuschauer mit ihr durch ihr unsichtbares Auge. Vier Filme zur weiblichen Identität, oder besser zu der Suche danach. Klar ist, dass bloße Sichtbarkeit keine Identität garantiert. Alle vier Filme beschäftigt die Frage „Wer bin ich?“: Die US-amerikanische Protagonistin in Lynn Hersham Leesons Video-Clip Avatar Log In kopiert sich selbst in verschiedene Persönlichkeiten hinein, wechselt Haare, Alter und soziales Umfeld. Das geht ganz einfach, spielerisch, mit Hilfe von Computertechnik.

Hong Kong Crash verortet die Frau in der Widersprüchlichkeit zwischen patriarchalem chinesischem Wertesystem im Privatleben und ihrem hochtechnisierten Alltag als Sektretärin einer hongkonger Firma, die auf virtuellen Konferenzen Millionengeschäfte verhandelt. Die Kenianerin Wanjiru Kinyanjui konfrontiert eine hoch qualifizierte Ärztin aus Nairobi mit den spirituellen Heilmethoden im einem Dorf, während die Schönheit im indischen The Love Songzur Jahrtausendwende eher in die eigenen spirituellen Tiefen hinabsteigt, um endlich zur Erde und sich selbst im Einklang mit dem Universum zu finden.

„Wenn ich diese Filme gemacht hätte, hätte man als Repräsentantin von Klischees auf mir rumgeklopft“, sinniert Projektkoordinatorin Brigitte Krause. Da aber jede Filmemacherin aus der Kultur stammt, in die sie ihre Protagonistin stellt, muss in dem, was leicht als Klischee denunziert wird, authentisches Lebensgefühl mitschwingen. „Die USA haben in dem Sinne keine eigene Tradition. Die Identitätssuche passiert deshalb nur auf der Bilderebene, sehr spielerisch. Die Frau setzt sich eine neue Perücke auf, und schon ist sie arm oder androgyn.“

Die anderen Filme arbeiten sich mehr an ihren Traditionen ab, auch symbolisch. Hier fühlen sich die Frauen durch die Wurzeln eingeengt und an der freien Entfaltung gehindert; anderswo – wie bei der Inderin – vermitteln sie Halt und innere Ruhe. „Eigentlich sind die Filme eine Zumutung“, so Krauses eigenes Urteil, „weil die Zuschauer sich sehr schnell in eine neue Kultur hineinversetzen müssen, offen sein für Unbekanntes. Gerade das macht die Filme und das ganze Projekt aber auch so interessant.“ Krause zeigt Trading Images deshalb gern dort, wo sie sich nach der Vorführung mit dem Publikum darüber unterhalten kann.

Uraufführung hatten die Trading Images während der internationalen Frauenuniversität auf der Expo in Hannover. Nicht wie jetzt, als zusammenhängender Film, sondern ohne die Rahmenhandlung der unsichtbaren Futurfrau, als Installation auf vier Leinwänden. Erst später schrieb die japanische Dichterin Yoko Tawada die Geschichte von der verlorenen Sichbarkeit, die Krause filmisch in Szene gesetzt hat.

In Hamburg zeigt sie die Visionen der Weiblichkeit im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Women Talk“ im Museum der Arbeit. Ein idealer Anlass, um den Handel mit Bildern weiter zu treiben, im Austausch über die Bilder, die im Zuschauerkopf entstehen, während die Frau im Film um Sichtbarkeit ringt.

Premiere von Trading Images: Montag, 28. Oktober, 19 Uhr, Museum der Arbeit, Wiesendamm 3

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