Ein Roman in einem Seufzer

„Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben“: Kurtágs ,,Kafka-Fragmente“ in der Galerie Rabus

Noch immer ist die Musik von György Kurtág sozusagen rar – obschon der ungarische Komponist (Jahrgang 1923), der im Unterschied zu seinem gleichaltrigen Kollegen György Ligeti seine Heimat nie verlassen hat, in den letzten 15 Jahren im Westen geradezu populär geworden ist.

Er schreibt nicht viel. Das, was er schreibt, ist „lakonisch, voll des innnigsten Ausdrucks, verstummend“, wie es sein Biograph Hartmut Lück ausdrückt. Nun gab es in der Galerie Katrin Rabus die dritte Bremer Aufführung der „Kafka-Fragmente“ für Sopran und Violine op. 24. Die erste 1987, kurz nach der Uraufführung in Witten, die zweite zehn Jahre später durch die damals am Bremer Theater engagierte finnische Sängerin Anu Komsi und den Geiger Sakari Aramo. Beide hinterließen starke, unvergessliche Eindrücke.

Bei den „Fragmenten“ handelt sich um einen Zyklus mit aphoristischen Bemerkungen Kafkas: Alltagstexte, Seltsamkeiten, Banalitäten und Schrecken des Lebens, Absurdes und Komisches („Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben“). Immer geht es in aufregend dialektischer Weise um die Doppelfunktion der Seele, um die Zersplitterung der Welt („Meine Gefängniszelle – meine Festung“). Das kürzeste Stück enthält drei Takte. Für Kurtág gilt, was Arnold Schönberg über Anton Webern gesagt hat: Dass er „in einem Seufzer einen ganzen Roman ausdrückt“.

Es war faszinierend, wie die Sängerin Maria Husmann und der Geiger András Keller dieser Vielschichtigkeit ebenso virtuos wie klangsensibel, ebenso ironisch wie poetisch auf der Spur waren und sie höchst aufregend vermitteln konnten – beide perfekt aufeinander eingespielt. Keller verstand es, den extrem schweren Part ungemein plastisch zu gestalten, zum Beispiel in dem Satz „Der wahre Weg geht über ein Seil“: Hier verrutscht die Zweistimmigkeit glissandoartig als Bild für Verunsicherung und Suche.

Die intensive, angespannte und gekonnte Art und Weise, wie beide die je vollkommen eigene Physiognomie der Aphorismen differenzierten, war beispielhaft. Man sollte sie viel mehr genießen, diese letzten Möglichkeiten, die es in dieser Stadt noch gibt, zeitgenössische Musik zu hören. Ute Schalz-Laurenze