: Wenn alle nur noch „Ja, Chef“ sagen
Der Coach Christopher Rauen berät Leute, die im Job oft keine ehrlichen Rückmeldungen mehr erhalten
taz: Herr Rauen, wer kommt zu Ihnen in die Beratung?
Christopher Rauen: In der Regel Führungskräfte oder Bereichsleiter, also Menschen, die Personalverantwortung haben und häufig selbst Führungskräfte unter sich haben. Die meisten kommen zu mir, weil sie ein Problem mit einem Mitarbeiter haben. Oft steckt aber viel mehr hinter dem Konflikt, und das Problem mit dem Mitarbeiter ist eigentlich nur ein Symptom und nicht die Ursache.
Welche Philosophie steckt hinter dem Begriff „Coaching“?
Führungskräfte haben ein Grundproblem: Je höher sie auf der Treppe nach oben steigen, desto weniger offene und ehrliche Rückmeldung bekommen sie von ihrer Umwelt. Ab einem gewissen Status gibt es nur noch eine „politische“ Rückmeldung ihres Verhaltens. Sie wissen nicht mehr, welchen tatsächlichen Stand sie in der Firma haben, weil alle nur noch „Ja, Chef“ zu ihnen sagen. Das kann dazu führen, dass Leitungskräfte eine sehr verzerrte Wahrnehmung haben. Ich nenne das den „Erich-Honecker-Effekt“: Wenn sie nur noch geschönte Informationen bekommen, gehen sie irgendwann davon aus, dass alles in Ordnung ist. Das Erstaunen ist dann groß, wenn dann alles um sie herum zusammenbricht.
Wie läuft ein Coaching ab?
Ein Coaching hat rund zehn Termine und dauert in der Regel sechs bis neun Monate. Pro Termin arbeite ich mit den Klienten zwei Stunden zusammen. Der längere Zeitraum erklärt sich daraus, dass damit eine gewisse Nachhaltigkeit in der Beratung gegeben ist. Besonders bei komplexen Anliegen kann der Klient dadurch länger begleitet werden, als dies zum Beispiel bei einem Wochenendseminar möglich wäre. Damit ist der Praxistransfer besser gewährleistet.
Wichtig ist, in einem ersten Schritt aufzuarbeiten und zu rekonstruieren, was genau das Problem des Klienten ist. Wer das Problem nicht kennt, der kann auch keine Lösung finden. In dieser Phase der Beratung muss die Wahrnehmung verbreitert werden. In der Phase der Rekonstruktion wird über einzelne Mitarbeiter gesprochen oder man erstellt Organigramme des Unternehmens. Es kann auch hilfreich sein, wenn die Führungskraft eine Art Soziogramm erstellt, in dem sie z. .B. die Beziehungsstrukturen der Mitarbeiter untereinander aufmalt. Dabei wird oft schon deutlich, wo das eigentliche Problem liegt.
Welche Techniken setzen Sie ein?
Wichtig ist, dass Prozesse der Rückmeldung da sind. Das heißt, Führungskräfte brauchen ein Feedback darüber, wie das, was sie gerade in der Firma umsetzen wollen, bei den Mitarbeitern ankommt. Außerdem werden mögliche Defizite, aber auch Stärken, die weiter ausgebaut werden können, vom Coach rückgemeldet. Das kann über Rollenspiele oder andere Techniken stattfinden. Die Inhalte einer Beratung sind unterschiedlich.
Was unterscheidet Coaching und Psychotherapie?
Bei Menschen, die psychotherapeutische Hilfen in Anspruch nehmen, ist es häufig so, dass die Selbststeuerungsfähigkeiten, das Selbstmanagement, nicht mehr richtig funktionieren. Die unbedingte Voraussetzung beim Coaching ist aber, dass jemand in der Lage sein muss, seine Probleme allein zu lösen. Die Hilfe eines Coachs kann diesen Prozess beschleunigen. Bei komplizierten Therapien liegt die Verantwortung häufig bei den Therapeuten, beim Coaching bleibt sie immer beim Klienten.
Woran erkennt man einen guten Coach oder schwarze Schafe?
Ich empfehle, immer mehrere Angebote einzuholen und die dann miteinander zu vergleichen. Dabei sollte man darauf achten, auf welche Klienten oder Themen sich ein Coach spezialisiert hat. Bei einem Coach, der behauptet, alle Themen bearbeiten zu können, wäre ich vorsichtig. In einem Erstgespräch, das möglichst kostenlos sein sollte, kann abgefragt werden, welche Qualifikation oder Erfahrungen der Berater überhaupt hat.
Warum haben Sie den Coaching-Report ins Leben gerufen?
Ich will darüber informieren, was Coaching überhaupt ist. Es wird so viel Unsinn über Coaching erzählt, dass ich gegensteuern wollte. Im Internet können sich Interessierte jetzt einfach und kostenlos informieren. Mittlerweile wird jede Form der Beratung neudeutsch als Coaching bezeichnet. Damit ist dann alles Coaching – oder eben nichts. Da muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
INTERVIEW: V. ENGELS
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen