: Kein Haushalt, sondern ein Sieb
Die Löcher in Finanzminister Eichels Haushalt werden immer größer. Bis 2006 könnten sich Steuerausfälle auf 89 Milliarden Euro summieren, so die offiziellen Schätzungen. Opposition warnt vor „flächendeckenden Eingriffen in die Daseinsvorsorge“
aus Berlin KATHARINA KOUFEN
„Hans im Glück“ nannten ihn die Medien gerne – damals, als es noch so aussah, als würde Finanzminister Hans Eichel den Kampf gegen den Schuldenberg gewinnen. Mittlerweile hat Fortuna ihm den Rücken gekehrt. Stattdessen vergeht kaum eine Woche ohne neue Hiobsbotschaften. Ohne neue Schätzungen für noch höhere Haushaltsdefizite, noch größere Löcher in den Sozialkassen, noch weniger Geld für das, was man Politikgestaltung nennt.
So auch am vergangenen Wochenende: Auf bis zu 89 Milliarden Euro werden sich die Steuerausfälle bis 2006 summieren, rechnete der Spiegel vor. Für dieses Jahr muss die Regierung statt von 16 Milliarden Euro Fehlbetrag im Haushalt von 18 bis 20 Milliarden ausgehen. Den Berechnung zugrunde liegen Zahlen aus Kreisen der offiziellen Steuerschätzer, die in Dessau über ihren Prognosen brüten und diese am Mittwoch veröffentlichen wollen. Berlin täuscht Optimismus nicht mal mehr vor: Man rechne mit „fürchterlichen“ Ergebnissen, geben Experten der Regierung zu.
Eichels Ziel, bis 2006 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen zu können, rückt damit immer weiter weg. Schon in diesem Jahr werden fast doppelt so viel neue Schulden gemacht wie ursprünglich anvisiert: Noch letztes Jahr wollte Eichel sich mit Krediten in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begnügen, mittlerweile geht die Europäische Kommission von 3,8 Prozent aus. Deutlich über der Höchstgrenze von drei Prozent, weswegen die Kommission am Mittwoch aller Voraussicht nach ein Defizitverfahren gegen Deutschland eröffnet. Der Finanzminister steht vor einem Dilemma: Akut fehlen eineinhalb Milliarden Euro in der Krankenkasse und je fünf Milliarden Euro in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Entweder er kürzt Leistungen – dann wird man ihm soziale Grausamkeit vorwerfen. Oder er steigert Beiträge und Abgaben wie die Mehrwertsteuer, deren Erhöhung bereits im Gespräch ist. Dann wird man ihm vorwerfen, er würge die Konjunktur weiter ab. Oder er macht Schulden. Dann muss er im Bundestag eine Haushaltsnotlage konstatieren und kommt mit dem – zunächst folgenlosen – Verfahren in Brüssel davon.
Vom Bundestag muss er dafür eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ feststellen lassen. Das ist in etwa so, wie wenn die Abgeordneten darüber zu entscheiden hätten, ob die Wirtschaft wachsen soll oder nicht – sie haben keinen Einfluss. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Sonst nämlich verstößt Eichel mit seinem 13 Milliarden Euro schweren Nachtragshaushalt gegen die Verfassung, weil die neuen Schulden die Investitionen übersteigen. Mit Ausnahme von 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, hat sich noch nie ein Finanzminister einen so hohen Nachtrag geleistet. Statt der vom Bundestag abgesegneten knapp über 21 Milliarden Euro würde die Neuverschuldung auf bis zu 35 Milliarden Euro steigen.
Die Opposition warnt die Regierung: Vor allem Länder und Gemeinden würden „flächendeckend in die Daseinsvorsorge eingreifen müssen“. CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Haushaltssicherungsgesetz, wie es 1984 schon einmal in Kraft getreten ist. Damals wurde unter anderem die Besoldung im öffentlichen Dienst gekappt.
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