Strategie der Kohl-Regierung

betr.: „Geht’s den Rentnern zu gut?“ von Katharina Koufen, taz vom 5. 11. 02

Es gehörte zur Strategie der Kohl-Regierung, die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen, die Arbeitenden gegen die Arbeitslosen, die Deutschstämmigen gegen die Ausländer, die Jungen gegen die Rentner, um den Sozialabbau mit möglichst geringem Widerstand durchziehen zu können. Inzwischen ist das gängige Praxis geworden und mit dem Pamphlet von Katharina Koufen auch bei der taz eingeführt.

Ich habe über 40 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt, die ich nun bei normaler Lebenserwartung mit schlechter Verzinsung zurückerhalte. Außerdem haben wir zwei Kinder großgezogen, die schon seit geraumer Zeit Beiträge in die Rentenkasse zahlen. Ausgaben, für die viele junge Leute sich heute lieber eine noble Wohnung, eine Luxuskarosse oder tollen Urlaub leisten. Wir leben also nicht auf Kosten der jungen Generation oder von staatlichen Almosen.

Wenn der Staat das Geld verbraten hat, das wir einzahlten, ist das nicht die Schuld der Rentner. Zahllose Menschen wurden aus der Rentenkasse bedient, die keine entsprechenden Beiträge entrichtet haben. Die staatlichen Zuschüsse zur Rentenkasse decken nur einen Teil der so entstandenen Ausgaben. Neben diesen Zugriffen des Staates auf die Rentenkasse ist ein weiterer Grund für die Misere, dass seit über 20 Jahren fünf bis sechs Millionen Menschen in diesem Land von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind und so Staat und Rentenversicherung belasten. […] Die heutige Arbeitslosigkeit ist verursacht durch Rationalisierung, die in der Wirtschaft viel mehr Kapazität schafft als Absatzmöglichkeiten und deshalb immer weniger Arbeitskräfte braucht.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rentenniveau müsste wie bei Lohn und Gehalt sich mit den prozentualen Steigerungen beschäftigen, die die hohen Einkommen immer weiter abheben von denen am Existenzminimum. Die Abfindung eines Ron Sommer liegt höher als das Geld, das der normale Rentner in seinem ganzen Leben gesehen hat. Mit dessen Villen und Luxus könnten sich Frau Koufen und die linke taz mal befassen.

DIETER BURGMANN, Hohenstadt

betr.: „Wer zu spät kommt …“ von Harry Kunz, taz vom 7. 11. 02

„Unpopulär, aber unumgänglich wird die Erhöhung des Renteneintrittalters sein.“ Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit mag vielleicht ein notwendiger Schritt sein, dessen Ausgestaltung diskutiert werden müsste, aber unter den jetzigen Verhältnissen führt diese Maßnahme nur zu einer weiteren Zunahme von Arbeitskräften auf einem Arbeitsmarkt, der schon heute nicht mehr alle Arbeitswilligen aufnehmen kann. Dies würde wiederum zum (gewollten) Druck auf die Löhne führen, zur Konkurrenz zwischen Jung und Alt um einen Arbeitsplatz und zu niedrigeren Renten, weil kaum jemand das neue Soll in der Lebensarbeitszeit erreichen würde. Denn die Bedingungen, zu denen man dann länger zu arbeiten hätte, um einen Anspruch auf die gleiche Rente wie bisher zu haben, bestimmen die Interessengruppen, die in einer Gesellschaft die Macht und Meinungshoheit besitzen, und das sind nicht die Arbeitnehmer. Die entscheidende Frage in der Rentenreformdebatte ist doch nicht die der besten Reformmethode, sondern die nach den Machtverhältnissen, innerhalb derer eine Reform stattfindet.

In dieser Gesellschaft führt jede Maßnahme über kurz oder lang dazu, dass denen, die wenig haben, noch mehr genommen wird. Der Höhepunkt des materiellen Wohlstands ist erreicht und die Verteilungskämpfe, von denen wir lange Zeit nur noch aus fernen Ländern hörten, sind wieder in die Metropolen zurückgekehrt. Moderne Politik in diesem Sinne bedeutet, dass sich die Schafe ohne zu murren zur Schlachtbank führen lassen.

WINFRIED THIESSEN, Frankfurt/Main

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