piwik no script img

Er dreht und dreht und dreht

Die Geschichte des Döner Kebab, zu deutsch Spießbraten, ist die seines Siegeszuges. In Berlin werden täglich rund 25 Tonnen verzehrt. Die Kolonie Wedding lädt heute zur langen Nacht des Döners

von SABINE AM ORDE

Glaubt man den Boulevardzeitungen, herrscht Krieg in Neukölln. Ein Preiskrieg zumindest. Und der tobt zwischen den Döner-Imbissen des Bezirks. Für einen Euro ist dort derzeit die Fladenbrottasche mit Fleisch- und Salatfüllung samt würziger Knoblauch- oder Kräutersoße zu haben. Doch das Billigangebot hat auch für den Döner-Liebhaber seinen Preis. Die Qualität bleibt auf der Strecke. Eine stichprobenhafte Überprüfung des Neuköllner Wirtschaftsamtes hat gezeigt: In mehr als einem Drittel der überprüften Betriebe entspricht der Döner nicht den Vorschriften: Es ist zu viel Hackfleisch im Fladenbrot. Nun drohen Strafen bis zu 25.000 Euro.

Der Kolonie Wedding dürfte die Negativpublicity ausgerechnet jetzt nicht gefallen. Hat sie doch für den heutigen Freitag zur langen Nacht des Döners in den Wedding geladen, um neben dem Produkt auch die Herstellung des Spießbratens, wie Döner Kebab übersetzt heißt, seine Geschichte und allerlei andere türkische Alltagskultur an die BerlinerInnen zu bringen.

Beim Döner selbst scheint das kaum noch nötig zu sein. Zu klar ist der Siegeszug des türkischen Fast-Food-Produkts, das nicht nur an der Spree Curry- und Bratwurst längst den Rang abgelaufen hat. Klar ist, dass hier in Berlin die steile Karriere des Döners begann – ob die türkischen Einwanderer aber zuerst in Charlottenburg, Schöneberg oder Kreuzberg den Drehspieß anwarfen, kann letztlich nicht mehr geklärt werden. Zu viele Geschichten und Legenden ranken sich um diese Zeit. Eine davon erzählt, dass im März 1971 der 16-jährige türkische Migrant Mehmet Aygün, der heute einer der Inhaber der renommierten Hasir-Restaurants ist (siehe Interview), in einer kleinen Imbissbude am Kottbusser Damm den ersten Berliner Döner anbot – den Fleischspieß hatte er selbst produziert.

Nur eines ist verbürgt: Erfunden wurde der Dönerkebab in Kreuzberg nicht. Zwar ist er, wie der langjährige taz-Redakteur Eberhard Seidel in seinem Buch „Aufgespießt“ über den Döner schreibt, eine erstaunlich junge Kreation der osmanischen Küche – er soll in Kastamonu von einem Meister Hamdi vor rund 160 Jahren erstmals als Tellergericht angeboten worden sein. Als Sandwich aber war er spätestens seit Mitte der 60er-Jahren in Istanbul auf dem Markt, auch wenn er heute dort bei weitem nicht so häufig wie in Berlin anzutreffen ist.

Damals, Anfang der 70er-Jahre, als die Drehspieße in Berlin zu rotieren begannen, lebten bereits 40.000 ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei in der Stadt. Neben den Dönerbuden öffneten auch die ersten Export-/Importläden und Gemüsemärkte. Dass sie sich so schnell ausbreiteten, hat nicht nur mit der Nachfrage der ständig wachsenden türkischen Community zu tun – sondern auch mit deren ökonomischen Notwendigkeiten. Denn die zunehmende Arbeitslosigkeit trieb viele ehemalige FabrikarbeiterInnen in die Selbstständigkeit. „Die Dönerbude war der sicherste Weg in die Existenzgründung.“ (Seidel)

1983 gab es in Berlin rund 200 Dönerverkaufsstellen, 1988 waren es bereits 400, Ende der 90er-Jahre wurden 1.300 gezählt. Schon in den 70er-Jahren wurden die gutbürgerlichen Viertel Berlins und Städte wie Frankfurt, Hamburg, Köln und München vom Dönerfieber erfasst, kleinere Städte folgten in den 80er-Jahren. Ostdeutschland wurde 1990/91 im Sturm genommen, anschließend öffnete sich auch die westdeutsche Provinz.

In Berlin und Brandenburg werden die Fleischkegel in 25 Produktionsstätten hergestellt. Allein in der Hauptstadt werden täglich rund 25 Tonnen Dönerkebab verzehrt, bundesweit sind es rund 200 Tonnen. Portioniert heißt das: Jährlich wandern 720 Millionen Dönersandwiches, die übrigens etwa 550 Kalorien haben, über die Ladentheke. Eine Befragung unter Betreibern von Berliner Dönerbuden ergab 1990: Rund drei Viertel der Kunden sind Deutsche. Geht man von einem Verkaufspreis von durchschnittlich 2,50 Euro pro Brottasche aus (in München und Hamburg zum Beispiel ist der Döner weit teurer als in Berlin), macht das einen jährlichen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro – mit steigender Tendenz. Das ist mehr als McDonald’s, Burger King und Wiener Wald bundesweit gemeinsam umsetzen.

Da ist klar, dass in Deutschland geregelt werden muss, was eigentlich in den Döner gehört: Seit 1991 schreibt die „Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Dönerkebab“ vor, dass der Fleischspieß nur aus Lamm-, Rind oder Kalbfleisch geschichtet werden darf. Sie lässt maximal einen Hackfleischanteil von 60 Prozent und höchstens 20 Prozent Fett zu. Döner aus Hähnchenfleisch, das nach BSE und Maul- und Klauenseuche Hochkonjunktur hat, wird extra gekennzeichnet. Doch das „Reinheitsgebot“ hält die schwarzen Schafe der Branche nicht von abenteurlichen Mixturen ab. Schließlich wird mit Discountpreisen um Marktanteile im Milliardengeschäft gekämpft. Nicht erst seit den vergangenen Wochen. Und nicht nur in Neukölln.

Die lange Nacht des Döners beginnt um 19 Uhr mit einer Betriebsbesichtigung der Özdemir Dönerproduktion (Kühnemannstr. 51–69). Anschließend liest Eberhard Seidel aus seinem Buch „Aufgespießt – wie der Döner über die Deutschen kam“ (20 Uhr, Kaplan Chicken Dönerproduktion, Soldiner Str. 13). Es folgen unter anderem Orientalischer Tanz (21 Uhr, Yakir Baba Grill, Soldiner Str. 28) und „Kuscheldöner von Vanessa“ (20 bis 22 Uhr, Soldiner Grill, Soldiner Str. 26).Infos: www.kolonie-wedding.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen