: „Roskilde war das größere Trauma“
Warum sind Pearl Jam bloß so melancholisch? Eddie Vedder und Stone Gossard über den Kriegskurs der US-Regierung und die deutsche Kritik daran. Und warum sie lieber ein Ukulele-Soloalbum aufnehmen als eine weitere MTV-„Unplugged“-Session
Interview OLIVER KUBE
Herr Vedder, Herr Gossard, Herr Ament: Das neue Pearl-Jam-Album klingt über weite Strecken sehr introvertiert und melancholisch. Ist das auch eine Reaktion auf den 11. September?
Gossard: Natürlich hat uns dieser Tag beeinflusst, wie auch seine Auswirkungen: die Kriegshetze unserer Regierung, die Folgen für Araber in Amerika und die Lage in Afghanistan. Ich glaube nicht, dass irgendein Künstler von diesen Ereignissen unberührt geblieben ist. Allerdings war dies nicht die einzige Tragödie, die sich auf unsere Songs ausgewirkt hat.
Sie meinen das Festival in Roskilde, wo direkt vor ihren Augen neun Zuschauer von einer in Panik geratenen Menge zu Tode getrampelt wurden?
Vedder: Ja, genau. Was in New York und Washington geschehen ist, war fürchterlich, und ich empfinde großes Mitleid für alle, die an diesem Tag Angehörige oder Freunde verloren haben. Für mich persönlich war Roskilde jedoch ein erheblich traumatischeres Erlebnis, als im Fernsehen den Einsturz des World Trade Centers zu verfolgen. Mehrere Songs auf dem neuen Album kreisen um jene jungen Menschen, die ausgerechnet bei einem Pearl-Jam-Konzert ihr Leben lassen mussten.
In einem anderen Ihrer Songs wird George W. Bush als Witzfigur und Blödmann beschrieben, der alleine durch Geld, Glück und die Gnade der rechten Geburt an die Regierung gelangt ist. Sehen Sie ihn wirklich so?
Gossard: Eigentlich ist es ja lustig, dass so ein Trottel nun die Geschicke des mächtigsten Landes der Welt lenken darf, obwohl er bei demokratischen Wahlen nicht einmal eine einfache Mehrheit erreichen konnte. Doch nun bleibt den meisten Leuten leider das Lachen im Halse stecken.
Vedder: Die Ölfirmen haben seinen Wahlkampf finanziert, und natürlich vertritt er nun deren Interessen. Dass dies so offensichtlich auf der Bühne höchster Weltpolitik passiert, ist nicht nur eine Schande, sondern im wahrsten Sinne mörderisch.
Gossard: Ich finde es großartig, dass sich die deutsche Regierung so lautstark weigert, bei diesem Kesseltreiben gegen den Irak mitzumachen, das reiner Geld- und Machtgier entspringt. So gut wie alle anderen westlichen Länder folgen ja wie die Schafe dieser Marionette des Großkapitals – entweder aus Angst vor wirtschaftlichen Repressalien, aus falsch verstandener Loyalität oder aus purer Blindheit.
Deutschland wird deshalb aber auch Antiamerikanismus unterstellt …
Gossard: Das ist doch völliger Quatsch. Das Gros der amerikanischen Bevölkerung, auf jeden Fall aber die denkenden Menschen hier wissen, dass so etwas reine Propaganda ist. Loyalität und Freundschaft bedeuten auch, den Partner auf seine Fehler aufmerksam zu machen. So gesehen, sind sowohl Deutschland als auch Kanada den USA derzeit ein besserer und wichtigerer Freund als etwa Großbritannien oder Italien.
Ist es richtig, dass Ihr Plattenvertrag mit diesem Album nach zehn Jahren ausläuft?
Vedder: Stimmt. Wir hatten einen Deal über sieben Alben, der nun endet.
Suchen Sie nun nach einem neuen Major-Vertrag?
Ament: Mehrere Modelle sind denkbar. Wir könnten bei einem Major unterzeichnen, aber genauso gut auch bei einem kleinen Independent-Label. Wir könnten eine eigene Plattenfirma gründen, deren Alben dann von einer großen Firma vertrieben würden. Oder wir machen alles selbst und vertreiben unsere CDs übers Internet. Wenn es nur um das Geld ginge, wäre Letzteres sicher die profitabelste Möglichkeit. Auf diesem Wege könnten wir locker ein Zehntel dessen verkaufen, was wir bislang über die traditionellen Kanäle abgesetzt haben. Wenn man aber kein Label, keine Promotion, keinen Vertrieb und keinen bürokratischen Wasserkopf bezahlen muss, macht man – trotz erheblich geringerem Absatz – ungleich mehr Profit.
Vedder: Darum geht es uns aber nicht. Wir wollen vor allem, dass jeder Mensch, der eines unserer Alben haben will, es auch bekommen kann. Wir wollen uns aber auch die Freiheit erhalten, Selbstsabotage zu betreiben, wenn wir Lust dazu haben. Was wiederum gegen einen Großkonzern spricht.
Das neue Album enthält auch ein paar Blues-Stücke: Ein Einfluss, der bisher nicht so deutlich herauszuhören war.
Gossard: Blues ist „Alte-Männer-Musik“. Wir kommen eben langsam in die Jahre (lacht).
Stimmt es, dass Ihnen angeboten wurde, erneut eine MTV-„Unplugged“-Session einzuspielen, Sie aber abgelehnt haben?
Vedder: Das bieten sie uns bei jeder neuen Platte an, die wir machen. Und manchmal sogar zwischendurch. Aber wir sagen jedes Mal „Nein“.
Warum denn? Ihr Auftritt von 1992 gilt bis heute als einer der Höhepunkte der gesamten Sendereihe.
Gossard: Eben deswegen. Damals war es noch aufregend, akustisch zu spielen: Das hatten wir vorher nur ein einziges Mal probiert, und der Versuch war in einem totalen Desaster geendet, sodass wir selbst überrascht waren, wie gut es dann doch ablief. Mittlerweile haben wir aber sehr viele Akustik-Shows gespielt – mindestens zwei pro Jahr. Das wäre also eine Routineveranstaltung. Wir möchten lieber neue oder andere Sachen ausprobieren.
Zum Beispiel?
Gossard: Ich habe gerade meine dritte Platte mit Brad fertig gestellt, und wir gehen noch in diesem Jahr auf Tournee.
Ament: Ich fotografiere ungemein gerne. Demnächst wird es wohl wieder eine Ausstellung meiner Aufnahmen geben.
Vedder: Und ich möchte gerne ein Instrumentalalbum machen, nur mit meiner Ukulele. Um ehrlich zu sein, es ist schon so gut wie fertig. Bisher habe ich mich allerdings nicht getraut, es zu veröffentlichen. Vielleicht unter einem Pseudonym?
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