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Rissige Atomanlagen

In Japan häufen sich Pannen in Atomkraftwerken. Auch die Vertuschung der Betreiber lässt die Unterstützung der Bevölkerung schwinden

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

Erst nachdem 5.600 Liter radioaktiv verseuchtes Kühlwasser aus einem Leck ausgeflossen waren, fuhr Kepco, der Betreiber des AKW Mihama in der Präfektur Fukui die Anlage herunter. Kepco (Kansai Electric Power), Japans zweitgrößte Stromgesellschaft mit Stammhaus in der westjapanischen Stadt Osaka, sprach einige Stunden danach von einer „kleinen Panne ohne Gefahr für die Umwelt“.

Nach mitteleuropäischen Maßstäben würde diese „kleine Panne“ wohl als Unfall deklariert worden sein, denn das Leck vergrößerte sich innerhalb kurzer Zeit. Anfangs traten 60 Liter Wasser pro Stunde aus. Als der Meiler endlich gestoppt wurde, flossen bereits 400 Liter pro Stunde aus dem größer werdenden Riss.

Obwohl sich gerade in den vergangenen zwei Monaten „kleine Pannen“ in Nippons Kernkraftwerken häuften, steht weiterhin eine solide Mehrheit im Land hinter dem Einsatz der Atomkraft. Aber es sind schon längst nicht mehr die fast 90 Prozent Zustimmung, die Japan noch vor wenigen Jahren kannte. Die Skeptiker nehmen zu, und gemäß jüngsten Umfragen hegt bald mehr als die Hälfte der Bevölkerung Zweifel an der Sicherheit der Atomkraft.

Das Umdenken verursachte ein anderer Skandal der schon im September aufgeflogen war. Japans größte Stromgesellschaft Tokyo Electric Power (Tepco) hatte 16 Jahre lang Reparaturprotokolle für 13 Atommeiler gefälscht. Lecks und Risse in Kühlsystemen waren verheimlicht worden.

Daraufhin wurde bekannt, dass sämtliche AKW-Betreiber in Japan gerade in alternden Kernkraftwerken lange Zeit die von der Regierung vorgeschriebenen Kontrollen umgangen oder Kontrollberichte gefälscht hatten. Der Skandal führte dazu, dass die Konzernführung von Tepco im September zurücktreten musste und eine breite Debatte über die Sicherheit in Kernkraftanlagen begann. Industrieminister Takeo Hiranuma war derart aus der Fassung über die Vertuschungsaffäre, dass er die Atomkraftwerkbetreiber öffentlich anklagte und ihnen „schamloses Zuwiderhandeln gegen das öffentliche Vertrauen“ vorwarf. Mit solch starken Worten hatte zuvor noch nie ein japanisches Regierungsmitglied die eigene Nuklearindustrie verurteilt.

Die Vertrauenskrise in der japanischen Bevölkerung begann allerdings schon vor drei Jahren, als in der Uranverarbeitungsanlage Tokaimura zwei Arbeiter an schwerer Verstrahlung starben und mehrere hundert Einwohner der Kleinstadt überhöhter radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren.

Die Erinnerung an diesen schweren Unfall schwand gerade, als die Vertuschungsaffäre publik wurde. Der Physiker und Atomkraftkritiker Kyoshi Sakurai erklärte gegenüber der taz, dass „die jüngsten Pannen und Skandale an den Fundamenten der japanischen Energiepolitik rüttelten“. Er wäre nicht erstaunt, wenn die japanische Regierung in den nächsten Jahren gar alternde Kernkraftanlagen aus Sicherheitsgründen stilllegen müsste. Im Industrieministerium werden offenkundig solche Szenarien bereits durchgespielt und Stromsparkampagnen zusammen mit Propagandaaktionen für umweltfreundlicheren Alternativenergien sind in vollem Gang.

Das stellt eine deutliche Wende dar im Vergleich zu den Zeiten nach der Kioto-Konferenz im Jahre 1997, als der damalige Industrieminister noch aussagte, dass Japan mindestens zehn neue Atommeiler bis im Jahre 2020 bauen müsse. Das sei notwendig, hieß es damals, um die im Klimaprotokoll vorgeschriebenen Senkungen des Kohlendioxidausstoßes realisieren zu können.

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